Unearthly. Heiliges Feuer (German Edition)
Freunde», antworte ich.
Seine Kiefermuskeln verkrampfen sich.
«Es gibt eine Verbindung zwischen uns», gebe ich zu. «Und irgendwie war diese Verbindung immer schon da. Es ist wegen der Visionen. Aber wir sind nur Freunde.»
«Triffst du dich mit ihm, rein freundschaftlich? Außerhalb von Angelas Engelclub?»
«Ab und zu.»
«Ab und zu», wiederholt er langsam. «Wie oft ist das gewesen bis jetzt? Dreimal? Viermal?»
In Gedanken rechne ich nach, wie oft er auf dem Dach von unserem Haus erschienen ist. «Fünfmal vielleicht. Sechsmal. Ich führe nicht Buch darüber, Tuck.»
«Sechsmal», sagt er. «Siehst du, das ist öfter als nur ab und zu mal. Ich würde sagen, das ist ziemlich häufig.»
«Tucker …»
«Und du hast mir nichts davon erzählt, weil …»
Ich seufze. «Ich hab dir nichts davon erzählt, damit du nicht …»
Ich bringe den Satz nicht zu Ende.
«Eifersüchtig bist», ergänzt er. «Das bin ich nicht.»
Er lehnt sich im Sitz zurück, schließt einen Moment lang die Augen, dann atmet er tief aus. «Aber … soll ich dir was sagen? Ich bin verrückt vor Eifersucht.»
Er öffnet die Augen und sieht mich mit einem Blick an, in dem sich verwirrte Belustigung spiegelt. «Boah. Wie fürchterlich, dass ich so ein Typ bin. Den ganzen Nachmittag über war ich kurz davor, mich in den großen grünen Hulk zu verwandeln und irgendwas kaputt zu schlagen. Das hätte mich wohl so richtig attraktiv gemacht, was?»
Ich habe keine Ahnung, ob er es ernst meint, also nehme ich es als Witz. «Das ist eigentlich richtig süß, wenn sich einer benimmt wie so ein Neandertaler. Und grün ist definitiv deine Farbe.»
Unverwandt blickt er mich an. «Aber vorwerfen kannst du mir das wohl kaum. Das ganze letzte Jahr warst du scharf auf ihn.»
«Das war doch bloß, weil ich dachte, er ist mein …» Wieder bringe ich das Wort nicht raus.
«Dein Schicksal», sagt Tucker. «Wie kommt es bloß, dass ich mich jetzt so gar nicht besser fühle?»
«Siehst du, wer spricht denn jetzt meine Sätze zu Ende? Christian und ich, wir sind Freunde », erkläre ich noch einmal mit Nachdruck. «Ich gebe ja zu, ich war letztes Jahr ziemlich besessen von dieser Christian-Sache. Aber das Ganze hat nur in meiner Vorstellung existiert. Ich hab ihn überhaupt nicht gekannt. Du bist derjenige, welcher.»
Er lacht. «Derjenige, welcher», meint er verächtlich, aber ich spüre, dass es ihm gefällt.
«Christian ist meine Vergangenheit. Du bist meine Zukunft.»
Was für Klischees!
«Du bist mein Traummann», sage ich schnell, und das macht es nicht besser.
Einer seiner Mundwinkel hebt sich beim Versuch eines Lächelns. «Puh, Karotte, hast du gerade gesagt, ich bin dein Traummann?»
«Tut mir leid.»
«Mann, kannst du toll mit Worten umgehen. Schweig still, mein Herz.»
«So hab ich das nicht gemeint.»
«Also du und Prescott, ihr seid Freunde. Freundschaftliche, rein freundschaftliche Freunde. Wie schön. Damit komm ich klar. Aber eines musst du mir sagen: Ist mal irgendwas zwischen dir und Christian gewesen, im richtigen Leben, nicht in deinen Visionen oder in dem, was deine Leute von dir wollen, oder so, also ganz echt, irgendwas, von dem ich wissen sollte? In der Zeit, bevor wir zusammen waren?»
Äh … Ich glaube, ich habe bereits unter Beweis gestellt, dass ich nicht die denkbar beste Lügnerin bin. Wenn ich die Wahl habe, entweder mit der Wahrheit rauszurücken oder eine faustdicke Lüge aufzutischen, und sei es auch nur eine Lüge zu einem wirklich guten Zweck, wie um meine Familie zu schützen oder die Welt daran zu hindern, von dem Engelzeug zu erfahren, läuft bei mir immer Folgendes ab: Ich bin plötzlich wie gelähmt, mein Gesicht wird starr, mein Mund trocken. Mit anderen Worten, ich ersticke. Weshalb ich jetzt auch total überrascht bin, dass ich direkt in Tuckers verletzliche blaue Augen schauen kann, diese Augen, die sagen, dass er mich liebt, aber die Wahrheit wissen will, ganz egal, wie weh sie tut, und dass ich mit vollkommen ruhiger und fester Stimme sage: «Nein. Da ist nichts gewesen.»
Und er glaubt mir.
In dem Moment spüre ich Kummer. Nur ein Aufflackern, er kommt und verschwindet innerhalb weniger Herzschläge wieder, so schnell, dass Tucker die einzelne Träne nicht bemerkt, die mir das Gesicht herunterläuft.
Diesmal ziehe ich erst gar nicht in Erwägung, dass es ein Schwarzflügel sein könnte. Ich bin es.
Ich schiebe das Gefühl weit von mir.
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Ein Sturm zieht
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