Unearthly. Heiliges Feuer (German Edition)
und der Kraft und der Tatsache, dass der himmlische Glanz Menschen zu heilen vermag, hatte ich insgeheim gehofft, dass Mama auf wundersame Weise gerettet, wenigstens aber für die nächsten paar Tage gestärkt werden könnte. Doch schließlich war das spektakuläre Licht zu gewöhnlichem Sonnenschein verblasst, die Versammelten hatten die Hände sinken lassen, und Mama lag weiterhin im Sterben. «Sei kein Idiot, Jeffrey, die Kongregation kümmert sich um uns, oder warst du nicht da, als sie alle versichert haben, zu Mamas Beerdigung zu kommen?»
«Wir werden ja sehen», erwidert er scheinbar leichthin. «Wir werden ja sehen, wer wirklich kommt.»
«Sie werden kommen.»
«Wieso? Weil du sie in deinem Traum gesehen hast?»
«Ja. Ich habe sie gesehen.»
«Und was, wenn dein Traum gar nichts zu bedeuten hat?», fragt er mit plötzlicher Bitterkeit. «Was, wenn es bloß ein Traum ist?»
«Es ist ein Traum, na schön, aber es ist auch eine Vision», sage ich gereizt. «Natürlich hat das was zu bedeuten.»
«Du denkst, es ist Teil deiner Aufgabe?»
Ich starre ihn an, und ich wünschte, ich wüsste die Antwort auf diese Frage.
«Es ist die Zukunft», sage ich.
Jeffreys Augen funkeln vor silbernem Feuer. «Und was, wenn nicht? Was, wenn es bloß ein Witz ist? Vielleicht haben wir gar keine Aufgabe, Clara. Bloß, weil dir mal einer erzählt hat, du bist auf dieser Erde, um etwas Bestimmtes zu tun, etwas Bestimmtes zu sein, muss das doch nicht stimmen.»
Ich habe keine Ahnung, was in ihn gefahren ist, aber ich weiß, dass er auf einmal alles in Frage stellt, was man uns je beigebracht hat, und das macht mir zu schaffen. «Du glaubst Mama nicht?»
«Genau, so offen und ehrlich, wie sie bisher zu uns war.»
«He, worüber streitet ihr zwei euch denn?», unterbricht uns Billy und kommt von dem Picknicktisch unter den Bäumen, wo sie mit Mama gesessen hat, zu uns herüber. «Muss ich hier irgendwie eingreifen?»
«Es ist nichts», sagt Jeffrey und dreht sich weg von ihr. «Können wir jetzt weiter? Ich muss für morgen noch Hausaufgaben machen.»
«Ja, wir können wieder. Ich glaube, sie schafft jetzt den Rest des Weges», sagt Billy und sieht mich an. Ich mustere die Schnürsenkel meiner Wanderstiefel. Ob Mama uns wohl gehört hat? Ich überlege, ob Jeffreys Worte sie verletzt haben und ob jeder böse Gedanke, jeder Zweifel sie wie ein Pfeil getroffen hat. Ich schlucke mühsam.
«Alles in Ordnung?», fragt Billy.
Ich hebe den Kopf und versuche, zu lächeln und zu nicken. «Klar. Mir geht’s gut. Ich will einfach nur nach Hause.»
«Na schön, dann wollen wir mal los», sagt sie, doch als Jeffrey uns ein paar Schritte voraus ist, nimmt sie mich am Arm. «Kopf hoch, ja?»
«Ja, sicher.»
«Ein Sturm zieht auf, Kleine», sagt sie und lächelt auf eine Art, die mich daran denken lässt, wie sie am Grab meiner Mutter aussieht. «Ich fühle es. Uns stehen harte Zeiten bevor. Aber wir schaffen das.»
«Okay.»
«Du glaubst mir doch, oder?»
«Klar», antworte ich und nicke.
Dabei ist die Wahrheit, dass nicht alle von uns es schaffen werden, und ich weiß nicht, was ich noch glauben soll.
[zur Inhaltsübersicht]
Nicht essen und nicht trinken
Dann geht auf einmal alles ganz schnell. Mama kündigt ihren Job. Sie verbringt viel Zeit in Decken gewickelt vor dem Fernseher oder hinterm Haus auf der Veranda mit Billy, wo sie dann Stunden über Stunden reden. Sie legt sich tagsüber immer wieder hin. Sie kocht nicht mehr. Das hört sich vielleicht nicht nach einer großen Sache an, aber Mama kocht wirklich leidenschaftlich gern. Nichts erfüllt sie mit mehr häuslichem Stolz, als etwas Wunderbares auf den Tisch zu bringen, auch wenn es etwas eher Einfaches ist wie ihr Lieblingskuchen oder Makkaroni mit fünf verschiedenen Käsesorten. Jetzt schafft sie das nicht mehr, und wir essen immer das Gleiche: morgens Frühstücksflocken, mittags ein Sandwich, abends etwas Tiefgefrorenes. Wir beschweren uns nicht, Jeffrey und ich. Wir sagen nichts, aber ich denke, dass es uns jetzt, da Mama nicht mehr kocht, so richtig zu Bewusstsein gekommen ist: Das ist der Anfang vom Ende.
Dann sagt sie eines Tages, vollkommen aus heiterem Himmel, zu Billy und zu mir: «Ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir uns Gedanken darüber machen, was wir den Leuten sagen.»
«Okay», erwidere ich gedehnt. «Worüber sollen wir den Leuten was sagen?»
«Über mich. Ich finde, wir sollten sagen, dass es Krebs ist.»
Verstört halte ich die Luft
Weitere Kostenlose Bücher