Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)
roten Federhaube auf dem Kopf; gerade spreizt der Vogel die Flügel, mit den Krallen berührt er das Wasser, wobei sich nicht mit Sicherheit sagen lässt, ob er abheben oder landen will.
Versager, denke ich und erinnere mich daran, dass ich sogar unfähig war, meine Flügel hervorzuholen. Unfähig sogar zu so etwas Simplem wie Fliegen. Ich habe auf ganzer Linie versagt.
Christian sieht mich an. Ich räuspere mich und mache ihm ein Zeichen, um ihm zu sagen, dass er jetzt das Bad benutzen kann. Er nickt, steht auf, drängt an mir vorbei, seine Bewegungen sind steif und ruckartig, als hätten seine Muskeln jetzt erst mitbekommen, durch was für eine Hölle er sie in den vergangenen vierundzwanzig Stunden geschickt hat.
Ich setze mich aufs Bett und horche auf das Wasser in der Dusche, auf Webs Atem, auf die tickende Uhr auf dem Nachttischchen, auf das Grummeln in meinem Magen. Nach etwa fünf Minuten wird das Wasser abrupt abgestellt, der Duschvorhang wird zur Seite gerissen, hastige Schritte auf dem Badezimmerfußboden sind zu hören, dann das Geräusch des Toilettendeckels, der hochgeklappt wird, und wie Christian sich übergibt. Ich springe auf und gehe zur Tür, aber ich habe Angst, sie zu öffnen. Er wird nicht wollen, dass ich das sehe. Ich lege meine Hand auf das glatte, gestrichene Holz des Türrahmens und mache die Augen zu, als ich ihn wieder würgen, dann stöhnen höre.
Ich klopfe leise.
Es geht mir gut , sagt er, aber es geht ihm nicht gut. Es ist ihm noch nie weniger gut gegangen, seit ich ihn kenne.
Ich komme rein , sage ich.
Gib mir eine Minute. Die Toilette wird gespült.
Als ich genau sechzig Sekunden später eintrete, steht er am Waschbecken, hat sich ein Badetuch um die Taille geschlungen und putzt sich die Zähne. Er nimmt ein Glas von dem Tablett auf der Konsole beim Waschbecken, wickelt es aus und füllt es mit Leitungswasser, nimmt einen Schluck, spült sich den Mund und spuckt das Wasser wieder aus.
Als sich unsere Blicke im Spiegel begegnen, sehe ich Scham in seinen Augen.
Versager. Auch er fühlt sich so.
Ich schaue weg, unbeabsichtigt gleitet mein Blick an seinem Körper hinunter, und da sehe ich die Wunde an seiner Seite.
«Das ist nicht so schlimm, wie es aussieht», sagt er, als ich keuchend Luft hole. «Aber ich hätte vor dem Duschen erst die Wunde versorgen sollen. Jetzt ist sie wieder aufgeplatzt.»
Ganz egal, was er sagt – es ist sehr schlimm: eine gut zwanzig Zentimeter lange klaffende Wunde von der obersten linken Rippe bis zur Hüfte, schwarz an den Rändern, als habe der Kummerdolch ihn verbrannt, als er durch sein Fleisch fuhr.
«Wir müssen dich in ein Krankenhaus bringen», sage ich.
Er schüttelt den Kopf. «Und was genau sollen wir da erzählen? Dass ich von bösen Zwillingen attackiert wurde, die mich mit einer Klinge aus Kummer verletzt haben?» Er zuckt zusammen, als ich ihn dazu bringe, sich vorzubeugen, damit ich mir das Ganze besser ansehen kann. «Das wird schon wieder heilen. Eigentlich müsste die Wunde längst schon wieder verschwunden sein. Normalerweise heilen Wunden bei mir viel schneller.»
«Das ist keine normale Schnittverletzung.» Ich schaue zu ihm auf. «Soll ich mal versuchen, das in Ordnung zu bringen?»
«Irgendwie habe ich darauf gehofft.»
Ich sage ihm, dass er sich auf den Rand der Waschbeckenkonsole setzen soll, dann stelle ich mich vor ihn. Mein Mund ist ganz trocken, so nervös bin ich plötzlich. Ich lecke mir die Lippen und versuche, mich zu konzentrieren.
Konzentrier dich.
Lass alles andere beiseite, all die Gedanken, die Gefühle, die stillen Vorwürfe, und dringe vor bis an deinen inneren Kern. Vergiss, was passiert ist. Was du nicht geschafft hast. Sei einfach.
Ruf den Glanz herbei.
Ein paar Minuten später schaue ich Christian entschuldigend an, Schweißperlen glänzen auf meiner Stirn. Er legt mir die Hand auf die Schulter, er will helfen, seine Stärke der meinen hinzufügen, und ich versuche erneut, das Licht hervorzubringen.
Wieder versage ich.
Web wacht auf und fängt an zu schreien.
«Tut mir leid», sage ich zu Christian.
«Es wird bald wieder funktionieren», erwidert er.
Ich wünschte, ich hätte seine Zuversicht. «So können wir die Wunde nicht lassen. Du brauchst professionelle Hilfe.»
Wieder schüttelt er den Kopf. «Wenn du es mit dem Glanz nicht in Ordnung bringen kannst, machen wir es eben auf die altmodische Art. Ich bin sicher, die haben hier irgendwo ein paar Nähsachen.»
Jetzt wird mir
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