Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)
dem kurzen, gelockten Haarflaum in meinem Nacken, dem Babyhaar, wie er es nennt. Mit der anderen Hand fährt er von meiner Hüfte hoch zu diesem empfindsamen Punkt unter meinem Arm.
«Kitzle mich bloß nicht», warne ich ihn und lächle, dicht an seine Haut geschmiegt.
Er lacht, als habe ich ihn herausgefordert, und lässt die Finger über meinen Arm gleiten, leicht wie eine Feder, was einen Ruck durch meinen ganzen Körper schickt. Spielerisch beiße ich ihn in die Schulter, was ihn noch einmal auflachen lässt. Ich hebe den Kopf und schaue in seine warmen blauen Augen. Wir beide versuchen, ernst zu schauen, schaffen es aber nicht.
«Ich finde, wir sollten hierbleiben, Karotte», sagt er. «Für immer.»
«Ja, unbedingt», murmele ich und küsse ihn. «Für immer hört sich gut an.»
Ein Schatten geht über uns hinweg. Tucker und ich schauen auf. Ein Vogel segelt über unseren Köpfen, eine riesige Krähe, größer als ein Adler, größer als jeder andere Vogel, den ich je gesehen habe. Sie dreht einen langsamen Kreis hoch über uns, ein Fleck vor dem blauen Himmel.
Mit sorgenvollem Blick sieht Tucker mich an. «Das ist doch nur ein Vogel, oder?»
Ich antworte nicht. Furcht jagt wie gefrierendes Eis durch meine Adern, als sich ein zweiter Vogel dazugesellt, Kreise dreht, über uns durch die Luft gleitet. Dann kommt ein weiterer dazu, dann noch einer, bis ich nicht mehr mitzählen kann. Die Luft scheint kühler, als könne der See unter uns zufrieren. Ich spüre die Blicke der Vögel auf uns, während sie eine Runde nach der anderen drehen und immer engere Kreise ziehen.
«Clara?», sagt Tucker. Sein Atem steht wie eine Wolke vor seinem Mund.
Ich starre nach oben, mein Herz hämmert wild. Sie warten auf den richtigen Moment, um nach unten zu schießen, mit ihren scharfen Schnäbeln und Krallen in unser Fleisch zu hacken. Uns zu zerreißen.
Sie warten.
So wie Aasgeier etwas Totes oder Sterbendes umkreisen. Sie sehen uns an.
«Ach, na ja», meint Tucker achselzuckend. «Wir wussten von Anfang an, dass es zu schön war, um ewig anzudauern.»
Am nächsten Morgen machen Christian und ich den Abwasch. Schulter an Schulter stehen wir an der Spüle, ich wasche, er trocknet ab, als er aus heiterem Himmel sagt: «Da ist etwas, das ich dir erzählen muss.»
«Okay», erwidere ich vorsichtig.
Nur einen Moment lang verlässt er den Raum, und als er wieder hereinkommt, hält er ein schwarz-weißes Notizbuch in der Hand.
Angelas Tagebuch.
«Du bist noch mal zurück nach Jackson?», frage ich verblüfft.
Er nickt. «Letzte Nacht. Ich bin zum Garter geflogen. Das hier habe ich in ihrem Schlafzimmer gefunden, in einem Koffer, der nicht verbrannt war.»
«Wieso?», frage ich entgeistert. «Das ist gefährlich gewesen! Billy hat doch gesagt, da sind überall Schwarzflügel und halten Ausschau. Du hättest …»
Gefangen werden können. Getötet. In die Hölle verschleppt. Und ich hätte nie erfahren, was mit ihm passiert ist.
«Tut mir leid», sagt er. «Ich wollte nicht, dass ihr Tagebuch in die falschen Hände fällt. Ich meine, wer weiß denn schon, was Angela hier über uns notiert hat? Oder über die Kongregation? Und ich wollte einfach … etwas tun. Ich habe so viele Fragen. Ich dachte, hier finden wir vielleicht ein paar Antworten. Ich war die ganze Nacht wach und habe darin gelesen.»
«Und? Hast du gefunden, wonach du gesucht hast?», frage ich leise. Ich bin mir nicht sicher, ob ich wütend auf ihn sein soll, weil er solch ein Risiko eingegangen ist, oder erleichtert sein muss, weil er wohlbehalten und unversehrt zurückgekehrt ist.
Sein Mund verzieht sich. «Da steht jede Menge drin. Rechercheergebnisse. Gedichte. Ein detaillierter Bericht über Webs sämtliche verdreckte Windeln. Eine Liste mit Liedern, die Anna ihm zum Einschlafen vorgesungen hat. Und Angelas Gedanken, über alles Mögliche. Sie war erschöpft und wütend, und sie hatte Angst, aber sie wollte das denkbar Beste für Web. Sie hat Pläne gemacht.»
Und jetzt wird sie keinen davon mehr ausführen können, denke ich. Ich weiß nicht genau, wo Angela ist, nicht so ganz genau, aber etwas von der Hölle habe ich selbst erlebt. Sie ist kalt und farblos. Trostlos. Voller Verzweiflung. Mir wird es eng in der Brust, wenn ich mir Angela an diesem Ort vorstelle, an die Hoffnungslosigkeit denke, die sie spüren muss. Den Schmerz.
«Und dann ist da noch ein letzter Eintrag, ganz eilig hingekritzelt», sagt Christian. «In jener Nacht hat sie
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