Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)
vom Duft nach Kiefern, Pferd und Tucker. Ich bin völlig entspannt, genieße die Sonne, die mir auf die Schultern scheint, den leichten Wind im Haar, seinen Körper dicht an meinem. Er ist alles – warm und gut und stark. Er gehört zu mir. Ich lehne mich an ihn, drücke ihm durch sein blau kariertes Hemd einen Kuss auf die Schulter.
Er dreht sich um, sagt etwas, und der Rand seines Stetson-Hutes stößt gegen mein Gesicht. Ich bin überrascht; ich verliere das Gleichgewicht und rutsche beinahe vom Pferd, aber er hält mich. Er nimmt den Hut ab, sieht mich an, sein goldbraunes Haar ist ganz zerzaust, die Augen sind von einem unglaublichen Blau, und er lacht sein heiseres Lachen, von dem ich überall auf den Armen Gänsehaut bekomme.
«So geht das nicht.» Er hebt den Arm, setzt mir seinen Hut auf, grinst. «So. Bei dir ist er viel besser aufgehoben.» Er neigt den Kopf, um mich zu küssen. Seine Lippen sind leicht rau, aber zart, fühlen sich sanft an auf meinem Mund. Er ist erfüllt von Liebe.
In diesem Augenblick weiß ich, dass ich träume. Ich weiß, dass dies nicht real ist. Schon fühle ich, dass ich gleich aufwache. Ich will nicht aufwachen, denke ich. Jetzt noch nicht.
Ich öffne die Augen. Es ist noch dunkel, eine Straßenlampe wirft von draußen wässrig silbernes Licht durch unser offenes Fenster, unter der Tür vom Flur ein Streifen Gold, weiche Schatten, von den Möbeln geworfen. Ein seltsames Gefühl erfüllt mich, beinahe ein Déjà-vu-Erlebnis. Das Gebäude ist beängstigend still, daher weiß ich, ohne auf die Uhr schauen zu müssen, dass es ziemlich spät ist, oder früh, je nachdem, wie man es sehen will. Ich werfe einen Blick auf Wan Chen. Sie seufzt im Schlaf, dreht sich um.
Der Traum ist unfair, denke ich. Vor allem, weil es mit Christian heute Morgen so schön war. Ich spürte eine enge Verbundenheit zwischen uns, als sei ich endlich da, wohin ich gehörte. Es fühlte sich richtig an.
Blöder Traum. Mein dummes Unterbewusstsein weigert sich, die Tatsachen anzuerkennen: Tucker und ich sind nicht mehr zusammen. Die Sache ist aus und vorbei.
Mein blöder Verstand. Blödes Herz.
Es klopft ganz leise, so sacht, dass ich schon glaube, ich hätte es mir nur eingebildet. Ich setze mich auf, horche. Da ist es noch einmal. Plötzlich wird mir klar, dass es dieses Klopfen war, das mich geweckt hat.
Ich streife mein Shirt über und gehe auf Zehenspitzen zur Tür. Ich ziehe den Riegel zurück, öffne die Tür einen Spaltbreit, blinzele ins helle Licht des Korridors.
Vor meiner Tür steht mein Bruder.
«Jeffrey!», sage ich verblüfft.
Ich sollte wahrscheinlich cool bleiben, aber das kann ich nicht. Ich umarme ihn stürmisch. Er ist so überrascht, dass er ganz steif wird, seine Schultermuskeln sind angespannt, während ich mich an ihn klammere, aber schließlich legt er mir die Hände auf den Rücken und entspannt sich. Es tut so gut, ihn umarmen zu können, zu wissen, dass er unverletzt und gesund und munter ist, so gut, dass ich beinahe lache.
«Was machst du denn hier?», frage ich nach einer Weile. «Wie hast du mich gefunden?»
«Was denn, glaubst du etwa, ich kann dich nicht ausfindig machen, wenn ich das will?», erwidert er. «Ich habe dich heute zufällig gesehen, und ich denke, ich habe dich vermisst.»
Ich trete zurück und mustere ihn. Er kommt mir größer vor, irgendwie. Größer, aber schlanker. Älter.
Ich nehme ihn am Arm und ziehe ihn nach unten in die Waschküche, wo wir reden können, ohne die anderen zu wecken.
«Wo bist du gewesen?», will ich wissen, nachdem wir die Tür hinter uns geschlossen haben.
Mit dieser Frage hat er natürlich gerechnet. «Überall so. Autsch!», macht er, als ich ihn gegen die Schulter boxe. «He!»
«Du Dumpfbacke!», schreie ich und boxe ihn wieder, fester diesmal. «Wie konntest du nur einfach so abhauen? Hast du überhaupt eine Ahnung, welche Sorgen wir uns gemacht haben?»
Als ich ihn wieder boxen will, packt er meine Faust, hält mich auf Abstand. Verblüfft nehme ich zur Kenntnis, wie stark er ist, wie mühelos er den Schlag abwehrt.
«Wer ist ‹wir›?», fragt er, und als ich nicht verstehe, was er meint, wird er deutlicher: «Wer hat sich Sorgen gemacht?»
«Ich, du Blödmann! Und Billy, und Dad …»
Er schüttelt den Kopf. «Dad hat sich keine Sorgen um mich gemacht», sagt er, und in seinem Blick sehe ich das wütende Leuchten, das ich beinahe vergessen hatte, seinen Zorn auf Dad, weil er uns verlassen hat, als wir noch
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