Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)

Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)

Titel: Unearthly. Himmelsbrand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cynthia Hand
Vom Netzwerk:
klein waren. Weil er nicht da war. Weil er uns angelogen hat. Weil er für alles in Jeffreys Leben steht, was sich ungerecht anfühlt.
    Ich lege ihm die Hand auf den Arm. Seine Haut ist kalt, klamm, als sei er in feuchtem Wetter draußen gewesen oder durch Wolken geflogen. «Wo warst du, Jeffrey?», frage ich, ganz ruhig diesmal.
    Er fummelt an den Knöpfen auf der Bedienleiste einer der Waschmaschinen herum. «Ich hatte einiges zu erledigen.»
    «Du hättest uns sagen können, wohin du gehst. Du hättest anrufen können.»
    «Wozu? Damit du mich überredest, ein braves kleines Engelblut zu sein? Auch wenn ich dann verhaftet worden wäre?» Er dreht sich weg, steckt die Hände in die Hosentaschen und reibt mit dem Schuh über einen Fleck auf dem Fußbodenbelag. «Es riecht gut hier», sagt er, was mir ein so absurder Versuch zu sein scheint, das Thema zu wechseln, dass ich unwillkürlich lächeln muss.
    «Willst du Wäsche waschen? Es kostet nichts. Weißt du überhaupt, wie das geht?»
    «Ja», antwortet er, und ich stelle ihn mir irgendwo in einem Waschsalon vor, wie er stirnrunzelnd vor einer Waschmaschine steht und die helle von der dunklen Wäsche trennt und sich zum ersten Mal in seinem Leben selbst um seine Wäsche kümmert. Aus irgendeinem Grund macht mich diese Vorstellung traurig.
    Es ist schon komisch. Die ganze Zeit, diese ganzen Monate über, wollte ich so unbedingt mit ihm reden, dass ich in meiner Phantasie Gespräche mit ihm geführt und mir überlegt habe, was ich ihm sage, wenn ich ihn endlich wiedersehe. Ich wollte ihn ordentlich in die Zange nehmen. Ihm Vorwürfe machen. Ihn überreden, wieder nach Hause zu kommen. Mitgefühl zeigen mit dem, was er gerade durchmacht. Ihn eventuell überreden, mir die Teile seiner Geschichte zu erzählen, die ich nicht verstehe. Ich wollte ihm sage, dass ich ihn liebe. Aber jetzt, da er hier ist, will mir überhaupt nichts einfallen, was ich sagen könnte.
    «Gehst du irgendwo zur Schule?», frage ich.
    Er schnaubt verächtlich. «Warum das denn?»
    «Du willst also keinen Highschool-Abschluss machen?»
    Seine silbrigen Augen werden kalt. «Wieso denn? Damit ich auf so ein schickes College wie Stanford darf? Meinen Abschluss mache, wochentags von neun bis fünf zu meinem öden Bürojob gehe, heirate, ein Haus kaufe, mir einen Hund anschaffe, ein paar Kinder in die Welt setze – und überhaupt, was wären meine Kinder dann … siebenunddreißigeinhalb Prozent Engelblut? Meinst du, es gibt einen Begriff dafür? Und was dann? Dann habe ich meinen amerikanischen Engeltraum und lebe glücklich und zufrieden bis ans Ende aller Tage?»
    «Wenn es das ist, was du willst?»
    «Es ist nicht das, was ich will», sagt er. «Das machen die Menschen, Clara. Und ich bin kein Mensch.»
    Ich gebe mir alle Mühe, meine Stimme neutral klingen zu lassen. «Natürlich bist du ein Mensch.»
    «Ich bin nur zu einem Viertel Mensch.» Er mustert mich, als würde er ganz tief in mich hineinschauen, auch mein Menschsein begutachten. «Das ist ein ziemlich kleiner Anteil. Wieso sollte mich das definieren?»
    Ich verschränke die Arme vor der Brust, ich fröstele, obwohl es nicht kalt ist. «Jeffrey», sage ich ruhig. «Wir können vor unseren Problemen nicht einfach davonlaufen.»
    Er zuckt zusammen, dann stürmt er an mir vorbei zur Tür. «Es war ein Fehler, hierherzukommen», sagt er leise, und ich frage mich: Wieso ist er dann überhaupt gekommen? Wieso wollte er mich sehen?
    «Moment.» Ich laufe ihm hinterher, packe ihn am Arm.
    «Lass mich los, Clara. Ich habe keine Lust mehr, Spielchen zu spielen. Ich bin durch damit. Ich erlaube keinem mehr, mir zu sagen, was ich zu tun habe, niemals mehr. Ich mache nur noch, was ich will.»
    «Tut mir leid!» Ich bleibe stehen, hole Luft. «Tut mir leid», versuche ich es noch einmal, ruhiger diesmal. «Du hast recht. Es steht mir nicht zu, dir Vorschriften zu machen. Ich bin ja nicht …»
    Mom , denke ich, aber das Wort kommt mir nicht über die Lippen. Ich lasse seinen Arm los und gehe ein paar Schritte zurück. «Tut mir leid», sage ich wieder.
    Einen Moment lang sieht er mich intensiv an, als überlege er, wie viel er mir erzählen soll.
    «Mom wusste Bescheid», sagt er schließlich. «Sie wusste, dass ich weglaufen würde.»
    Ich starre ihn an. «Woher?»
    Er schnaubt verächtlich. «Sie sagte, ein kleines Vögelchen hätte es ihr gezwitschert.»
    Das hört sich tatsächlich ganz nach Mom an. «Sie konnte einen ganz schön auf die Palme

Weitere Kostenlose Bücher