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Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)

Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)

Titel: Unearthly. Himmelsbrand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cynthia Hand
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sich und wirft uns einen bedeutsamen Blick zu, mit dem er sagen will: Ihr sollt jetzt dankbar sein. Nicht miteinander schwatzen.
    Der Typ grinst und dreht seinen Notizblock ein bisschen, damit ich lesen kann, was er geschrieben hat. Ich heiße Thomas. Ich bin dankbar dafür, dass es für diesen Kurs keine Noten gibt, nur ein Bestanden oder Nicht bestanden.
    Wieder lächle und nicke ich. Seinen Namen wusste ich schon. Für mich ist er der ungläubige Thomas, weil er immer der Erste ist, der alles in Frage stellt, was Dr. Welch sagt. Wie vorige Woche, zum Beispiel. Dr. Welch meinte, wir sollten aufhören, nach materiellen Dingen zu streben, und daran arbeiten, zu innerer Zufriedenheit zu gelangen. Da hob Thomas prompt die Hand und sagte dann etwas wie: «Aber wenn wir alle nur still dasitzen und mit unserem Platz im Leben zufrieden sind, würde doch niemand mehr danach streben, sich auszuzeichnen. Natürlich will ich glücklich sein, aber ich bin doch nicht nach Stanford gekommen, weil ich mein Glück finden will. Ich bin hierhergekommen, um der Beste zu sein.»
    So was von bescheiden, der Typ.
    Mein Handy geht an, mit Vibrationsalarm, und Dr. Welch schaut wieder in unsere Richtung. Ich warte ein paar Minuten, ehe ich das Handy heimlich aus der Tasche ziehe. Ich habe eine SMS von Angela. Sie will mich bei der Kirche, der Memorial Church, treffen.
    Nach dem Kurs laufe ich schnell die große Treppe der Meyer-Bibliothek hinunter, wo das «Glück» stattfindet, und Thomas ruft mir hinterher: «He, Clara, warte!» Dafür habe ich zwar gerade keine Zeit, dennoch bleibe ich stehen. Ängstlich suche ich den Himmel nach der mysteriösen Krähe ab, aber ich entdecke nichts Ungewöhnliches.
    «Ähm, willst du …» Thomas bricht ab, als hätte er vergessen, was er sagen wollte, nachdem er nun meine ungeteilte Aufmerksamkeit hat. «Willst du vielleicht was mit mir essen gehen? Ich kenne ein Lokal, wo es ganz phantastische Hähnchen-Burritos gibt. Die nehmen Reis und Bohnen rein und Pico de gallo  …»
    «Ich kann nicht. Ich bin verabredet», unterbreche ich ihn, ehe er mit seiner Lobeshymne über die Burritos fortfahren kann, die allerdings tatsächlich klasse sind. Aber ich habe ja wirklich eine Verabredung, und ganz davon abgesehen, habe ich auch keine Lust, mit dem ungläubigen Thomas essen zu gehen. Da bin ich mir sicher.
    Er sieht mich fassungslos an. «Na dann ein andermal», sagt er und zuckt mit den Schultern, als wäre es keine große Sache, aber ich spüre, dass er gekränkt ist, er wirkt, als wollte er sagen: ‹Wofür hält die sich eigentlich?›, weshalb sich mein Schuldgefühl, ihn abgewiesen zu haben, in Grenzen hält.
    Angelas SMS – C., komm zur MemChu, 17.30 Uhr. Wichtig – veranlasst mich, die Arkaden entlangzulaufen, meine Schritte hallen auf dem gefliesten Boden wider. Schließlich wird das, was ihre Vision ihr ankündigt, hier in Stanford stattfinden, deshalb sind wir ja auch alle hier – wichtig könnte also ziemlich gewaltig bedeuten. Ich schaue auf die Uhr – 17.35 Uhr – und renne über den Innenhof. Diesmal werde ich nicht langsamer, wie so oft, wenn ich den Anblick der Kirche genießen will, die leuchtend goldenen Mosaiken an der Fassade, das keltische Kreuz auf der Dachspitze. Mit der Schulter schiebe ich die schwere Holztür auf und gehe hinein. Einen Moment bleibe ich im Vorraum stehen, damit sich meine Augen an das dämmrige Licht im Innern gewöhnen können.
    Ich entdecke Angela nicht sofort unter den anwesenden Studenten, von denen die meisten ohne erkennbaren Grund im vorderen Altarraum auf und ab gehen. Ich schlendere über den mit rotem Teppich ausgelegten Mittelgang auf die Gruppe zu, vorbei an den Reihen der Kirchenbänke aus Mahagoni. Ich bekomme eine Gänsehaut angesichts der Darstellungen von Engeln überall, auf den Buntglasfenstern, in den Mosaiken rechts und links von mir, oben an der Decke zwischen den Bögen: überall Engel, sie schauen herab, immer mit entfalteten Flügeln hinter sich. Einer von ihnen ist wahrscheinlich Michael, denke ich. Wenn ich meinen Vater sehen will, muss ich einfach nur in die Kirche gehen.
    Ich entdecke Angela. Sie ist bei den anderen, geht oben an der Treppe, ganz vorn im Altarraum, im Kreis. Etwas ist auf dem Boden ausgebreitet wie ein riesiger Teppich, dunkelblau mit weißem Muster, das sich wie eine Art Pfad durch das Blau windet. Sie sieht mich nicht. Vor lauter Konzentration macht sie einen Schmollmund, dann bewegen sich ihre Lippen, als

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