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Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)

Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)

Titel: Unearthly. Himmelsbrand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cynthia Hand
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mir immer wieder einrede: dass alles gut wird, solange ich mich nicht weiter mit ihr beschäftige. Egal, ob der Vogel nun Samjeeza ist oder nicht. Ich versuche, so zu tun, als wäre alles ganz normal.
    Aber dann kommen Wan Chen und ich eines Tages aus dem Chemiegebäude, und ich höre jemanden meinen Namen rufen. Ich drehe mich um und sehe einen hochgewachsenen blonden Mann in einem braunen Anzug und mit einem schwarzen Filzhut – erinnert alles sehr an das Jahr 1965 –, der auf dem Rasen steht. Ein Engel. Daran kann es keinen Zweifel geben.
    Er ist zufällig außerdem mein Dad.
    «Äh, hi», sage ich lahm. Seit Monaten habe ich von ihm nichts gehört oder gesehen, nicht seit der Woche nach Moms Tod, und jetzt – peng , ist er da. Als wäre er direkt vom Set von Mad Men herspaziert, dieser Fernsehserie, die Anfang der 1960er Jahre in New York spielt. Aparterweise ist er mit dem Fahrrad da, einem schönen blausilbernen Gefährt der Marke Schwinn; er braucht eine Minute, um es gegen die Häuserwand zu lehnen. Dann kommt er zu Wan Chen und mir herüber.
    Ich reiße mich zusammen. «Also … ähm, Wan Chen, das ist mein Dad, Michael. Dad, meine Zimmergenossin Wan Chen.»
    «Freut mich, Sie kennenzulernen», sagt Dad mit sonorer Stimme.
    Wan Chens Gesicht wird grünlich, dann sagt sie, sie müsse schnell zu ihrem nächsten Kurs, und macht sich auf den Weg.
    Mein Dad hat nun mal diese Wirkung auf Menschen.
    Ich dagegen bin erfüllt von einem tiefen, lang anhaltenden Glücksgefühl, wie immer, wenn ich in der Nähe meines Vaters bin – was eine Art Spiegelung seines inneren Friedens ist, seiner Verbundenheit mit dem Himmel, seiner Freude. Aber weil ich nicht gern Gefühle empfinde, die nicht meine eigenen sind, egal, wie positiv sie sein mögen, versuche ich, ihn abzublocken.
    «Bist du mit dem Fahrrad gekommen?», frage ich.
    Er lacht. «Nein. Das ist für dich. Ein Geburtstagsgeschenk.»
    Das überrascht mich. Nicht weil mein Geburtstag im Juni ist und wir jetzt Anfang November haben. Sondern weil ich mich nicht erinnern kann, dass mir mein Dad je persönlich ein Geburtstagsgeschenk überreicht hätte. In der Vergangenheit hat er gewöhnlich irgendetwas per Post geschickt, einen Umschlag mit einer Glückwunschkarte und jeder Menge Bargeld, ein kostspieliges Medaillon oder Konzertkarten. Geld für den Wagen. Alles wirklich nett, aber es sah immer wie eine Wiedergutmachung dafür aus, dass er uns verlassen hatte.
    Er runzelt die Stirn, ein Ausdruck, der auf seinem Gesicht nicht ganz natürlich ist. «Deine Mutter hat das mit den Geschenken immer arrangiert», gibt er zu. «Sie wusste besser, was du dir gewünscht hast. Sie war es auch, die das mit dem Fahrrad vorgeschlagen hat. Sie meinte, du könntest es hier sicher gut gebrauchen.»
    Ich starre ihn an. «Moment mal. Du meinst, Mom hat das ganze Zeug immer besorgt?»
    Er nickt schuldbewusst, als wollte er zugeben, dass er bei dem Test mit dem Thema «Bin ich ein guter Vater?» geschummelt hat.
    Naaa schön. In Wirklichkeit habe ich also Geschenke von meiner Mutter bekommen, von denen ich dachte, sie kämen von meinem abwesenden Vater. Ganz schön schräg.
    «Was ist eigentlich mit dir? Hast du überhaupt einen Geburtstag?», frage ich, weil mir nichts Besseres einfällt. «Ich meine, ich hab immer gedacht, dein Geburtstag ist am 11. Juli.»
    Er lächelt. «Das war das erste Mal, dass ich einen ganzen Tag mit deiner Mutter verbringen durfte, der erste Tag unseres gemeinsamen Lebens. Der 11. Juli 1989.»
    «Aha. Dann bist du also dreiundzwanzig.»
    Er nickt. «Ja. Ich bin dreiundzwanzig.»
    Er sieht aus wie Jeffrey, denke ich, als ich sein Gesicht mustere. Ihre Augen haben den gleichen silbrigen Schimmer, den gleichen goldfarbenen Hautton. Es gibt nur einen Unterschied: Dad ist steinalt, in sich ruhend, im Frieden mit allem; Jeffrey ist sechzehn und im Frieden mit gar nichts. Er ist irgendwo da draußen und «macht sein eigenes Ding», was immer das heißen mag.
    «Hast du Jeffrey gesehen?», fragt Dad.
    «Lies nicht meine Gedanken. Das ist unhöflich. Und ja, er ist einmal hier gewesen, und er hat mich ein paar Mal angerufen, weil er wohl nicht will, dass ich nach ihm suche. Er wohnt hier irgendwo in der Nähe. Morgen treffen wir uns in Joanie’s Café . Die einzige Möglichkeit, ihn mal zu Gesicht zu kriegen – ich lade ihn zum Essen ein, aber, na ja, so sehe ich ihn wenigstens mal.» Ich habe eine sensationelle Idee. «Komm doch mit.»
    Dad zieht es nicht mal in

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