Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)
meinem Auto zurück. Als wir beide angeschnallt auf unseren Plätzen sitzen und losfahren wollen, streckt sie plötzlich die Hand aus und zieht den Schlüssel aus dem Zündschloss.
«Du bist also immer noch in meinen Bruder verliebt», sagt sie, und als ich ihr den Schlüssel aus der Hand nehmen will, fügt sie hinzu: «O nein, wir werden jetzt schön darüber reden.»
Schweigen. Ich kämpfe wieder gegen den demütigenden Drang zu weinen.
«Ist schon okay», sagt sie. «Lass es nur alles raus. Du liebst ihn immer noch.»
Ich beiße mir kurz auf die Lippen. «Das spielt keine Rolle. Ich lebe mein Leben weiter, er lebt seins. Offensichtlich ist er jetzt mit Allison zusammen.»
Wendy schnaubt verächtlich. «Tucker ist nicht in Allison Lowell verliebt. Was du da gesehen hast, solltest du nicht überbewerten.»
«Aber …»
«Du bist es, Clara. Du bist die Einzige, vom ersten Tag an, als er dich gesehen hat. Er sieht dich genauso an, wie mein Dad meine Mom ansieht.»
«Aber ich bin nicht gut für ihn», sage ich unglücklich. «Ich muss ihn freigeben.»
«Und wie fühlst du dich dabei?»
«Wir sind nicht füreinander bestimmt», sage ich leise.
Das löst eine weitere verächtliche Reaktion aus. «Das», sagt sie, «ist Ansichtssache.»
«Ach, deiner Ansicht nach sind Tucker und ich, sind wir …»
«Ich weiß nicht.» Sie zuckt mit den Schultern. «Aber ich weiß, dass er dich liebt. Und dass du ihn liebst.»
«Ich bin in Stanford. Er ist hier. Du hast doch selbst gesagt, dass Fernbeziehungen nicht funktionieren. Du und Jason …»
«Ich habe Jason nicht geliebt», erwidert sie. «Ich hatte keine Ahnung, wovon ich rede.» Sie seufzt. «Also schön, ich sollte dir das wahrscheinlich gar nicht erzählen. Ich weiß mit Sicherheit, dass ich es dir nicht erzählen sollte. Er würde mich umbringen. Aber Tucker hat sich dieses Jahr fürs College beworben. Und er wird auch dort anfangen, im Herbst.»
«Was? Wo denn?»
«An der Uni von Santa Clara, Kalifornien. Dir ist doch klar, was das zu bedeuten hat, oder?»
Ich nicke, bin total perplex. Die Uni von Santa Clara liegt im selben Teil von Kalifornien wie Stanford.
Mir pocht das Herz bis oben in der Kehle. Ich versuche, es herunterzuschlucken. «Das ist doch nicht dein Ernst!»
Wendy berührt meine Hand. «Ich weiß. Und im Grunde ist alles meine Schuld. In dem Sommer damals, die Sache mit den Stiefeln, da hab ich euch ja quasi zusammengebracht.»
«Ja, allerdings.»
«Du bist meine Freundin, und ich will, dass du glücklich bist, und er ist mein Bruder, und auch er soll glücklich sein. Und ich denke, ihr könntet euch gegenseitig glücklich machen, wenn du dem Ganzen nur eine echte Chance geben würdest.»
Wenn es nur so einfach wäre!
«Ich glaube, du solltest noch mal mit ihm darüber reden, das ist alles.»
«Ach ja? Und was soll ich sagen?»
«Die Wahrheit», erklärt sie ernst. «Sag ihm, wie du dich fühlst.»
Na klasse, denke ich. Ich weine wegen Tucker. Nicht gerade so richtig emanzipiert von mir, ich weiß. Das ist das Gegenteil von allem, woran ich glaube, wozu meine Mutter mich erzogen hat – dass ich stark bin und viel kann, dass ich keinen Mann brauche, um glücklich zu werden –, aber da liege ich nun auf dem Sofa, wie ein Embryo zusammengerollt, auf dem Boden zu meinen Füßen eine unberührte Tüte Mikrowellenpopcorn mit Karamellgeschmack, und ich schluchze in die Kissen, dabei wollte ich bloß einen Film gucken, um mich ein bisschen abzulenken, und alles, was das Fernsehen zu bieten hat, sind Liebeskomödien.
Wieder und wieder sehe ich vor mir, wie Allison Lowell zu Tucker aufschaut, mit braunen Rehaugen, ganz verführerisch – mir wird speiübel –, und wie sie ihn berührt, genau wie ich ihn immer berührt habe. Wie sie lächelt.
Und er hat zurückgelächelt.
Aber er wird auch auf ein College gehen, das nur etwa zwanzig Meilen von meinem entfernt ist. Die Vorstellung, Tucker in meiner Nähe zu haben, verklumpt sich zu einem schmerzenden, hoffnungsvollen, verwirrten Chaos in meinem matschigen Hirn.
Vielleicht will er ja, dass wir zusammen sind.
Vielleicht will ich ja, dass wir zusammen sind.
Aber es hat sich doch sonst nichts verändert, oder? Ich bin immer noch ich, eine T-Person, immer noch die kleine Miss Glühwürmchen, habe immer noch Horrorvisionen davon, dass ich womöglich die nächste Zeit nicht überlebe, und wenn ich überlebe, bin ich immer noch für einen anderen bestimmt. Und er ist immer noch er,
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