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Unendlichkeit in ihrer Hand

Unendlichkeit in ihrer Hand

Titel: Unendlichkeit in ihrer Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gioconda Belli
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hinweg, während sie mit hilfesuchenden Blicken zu ihm aufschauten und das verwirrte Schreckensgeschrei über dieses jähe Ende in seinem Herzen widerhallte. Adam flog weiter, außerstande, den kreisenden Flug zu unterbrechen, außerstande auch, dem Poltern der sterbenden Bäume Einhalt zu gebieten.
     
    Er erwachte zitternd. Er erhob sich von Evas Seite, dann weckte er sie. Ein feindseliges, rachedurstiges Sturmgebraus drang von draußen zu ihnen herein. Der Boden begann zu beben. Adam dachte, es seien die Regungen, mit denen sich die Erde bisweilen behutsam bemerkbar machte. Ihn verunsicherte jedoch, mit welcher Heftigkeit sie sich diesmal schüttelte, als wollte sich die Erde ihrer entledigen.
    Eva warf ihm einen beunruhigten Blick zu. Die Höhle, die noch vor kurzem ihr Liebesnest gewesen war, schien jetzt von einer riesigen Faust zerquetscht zu werden. Rosafarbene Quarzbrocken und Kristalle lösten sich von den Wänden und zersplitterten tausendfach auf der Erde. Steine und Staub setzten ihnen erbarmungslos zu. Plötzlich schien die vorher nur von ferne erahnte Welt der erdgeschichtlichen Katastrophen und verirrten Kometen unter ihren Füßen zu brodeln. Adam! Adam, geschieht das jetzt, weil wir von der Frucht gegessen haben?
    »Ich habe auch unsere Nachkommen gesehen«, schrie er zurück. »Sie werden leben, aber sie werden durch unsere Schuld zugrunde gehen, einer nach dem anderen werden sie gefällt zu Boden sinken!« Er versuchte sich aufzurichten und einen Fuß vor den anderen zu setzen, konnte jedoch nicht das Gleichgewicht halten. Ein ums andere Mal knickte er ein und fiel hin. Es hagelte weiter Felsbrocken, die Höhlenwände brachen auseinander. Dann wurden sie von einer schmutzigen Staubwolke umhüllt, die sie zwang, die Augen zusammenzukneifen. Eva legte schützend die Arme über den Kopf. Wie Adam versuchte auch sie zu gehen, verlor jedoch ebenfalls bei jedem Schritt das Gleichgewicht. Sie dachte, dass sie sterben müssten, dann würde sich das erfüllen, was ihr die Schlange prophezeit hatte.
    Adam kam auf allen vieren ein kleines Stück vorwärts. Er bedeutete Eva, ihm zu folgen. Wie ein Tier, dachte sie, und kroch auf allen vieren hinter ihm her. Die Erde tobte und wankte immerfort. Plötzlich stürzte ein Steinbrocken auf Adams Bein. Als er vor Schmerz aufschrie, bewegte sie sich rasch auf ihn zu und schaffte es, den Felsen wegzuheben. Das Bein blutete. Adam und Eva hatten noch nie Blut gesehen. Sie starrten auf die Wunde. Das helle Rot schlängelte sich in einem Rinnsal über die Haut. Nichts wie raus hier, sagte Adam. Sie mussten die Höhle verlassen, ehe die Wände einstürzten. Meine Augen sind so weit offen, dachte Eva, dass sie brennen. Ich habe Angst.
    Sie krochen auf Händen und Füßen zum Ausgang. Draußen spannte sich ein düsterer Himmel über sie, grauer Staub rieselte auf die Erde, begleitet von einem harten Niederschlag, der auf der Haut schmerzte. Inmitten des Chaos erahnten sie nur die Unordnung des Gartens mit all den schreienden, durcheinanderlaufenden Tieren. Krachend wurden die Bäume entwurzelt, und das unheilvolle Donnern verwandelte sie mit einem Schlag in zwei verwundbare kleine Geschöpfe – zerbrechlich und voller Angst. Wenige Schritte vor ihnen klaffte eine Erdspalte, wie von einem unsichtbaren Peitschenhieb geschlagen. Eva schloss die Augen und schrie aus Leibeskräften, um mit dem Schall ihrer Stimme dem Wüten des zornigen Geistes, der drauf und dran war, alles zu vernichten, Einhalt zu gebieten. Adam ballte die Fäuste und befahl ihr, still zu sein. Sie war an allem schuld, dachte er. Sie und ihre Neugier. Er packte sie und zog sie so weit wie möglich weg von der Erdspalte, die sich unmittelbar darauf mit ohrenbetäubendem Gedröhn zu einem unüberwindlichen Abgrund öffnete. Rumpelnd und schiebend riss die Erde auf, wie aufgeschlitzt von einem allmächtigen, unsichtbaren Strahl, der sich als eine breite Schlucht in sie hineingrub.
    Entgeistert beobachtete Eva, was dann geschah: Der Garten Eden rückte von ihnen ab und war bald außer Reichweite, er entzog sich ihnen. Auf der anderen Seite des breiten, tiefen Abgrundes sah sie ihn, als das Beben der Erde nachließ, wieder seine ursprüngliche Form annehmen. Sie sah, wie sich der gewohnte Frieden über ihn breitete und er von goldenem Licht übergossen wurde – eine sonderbare Insel. Der Garten, schrie sie lautlos, sie hätte nie gedacht, ihn zu verlieren, sie hatte nie daran gedacht, dass sie dort weg

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