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Unendlichkeit in ihrer Hand

Unendlichkeit in ihrer Hand

Titel: Unendlichkeit in ihrer Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gioconda Belli
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müssten, davon getrennt würden, ausgestoßen würden.
     
    Plötzlich schwankte es unter ihren Füßen, als schaukelten die soeben noch unverrückbar verankerten Felsen auf einem unterirdischen Gewässer. Dann tauchte neben ihnen eine sonderbare Kreatur auf, mit einem runden, langgestreckten Leib und schuppiger Haut, die über den Boden glitt. Eva erkannte sie am Gesicht, an den Augen.
    »Bist du es?«
    »Das hat er aus mir gemacht. Er wird sich schon wieder einkriegen. Wenn er in Wut gerät, dann weiß er manchmal nicht mehr, was er tut. Bestenfalls erinnert er sich noch mal daran und überlegt es sich anders, dann korrigiert er sein Werk. Ich werde dies hier nicht so lange bleiben müssen, aber euch wird die Zeit bestimmt lang werden. Ihr könnt nicht mehr in den Garten zurück.«
    »Das ist alles deine Schuld!«, warf ihr Adam vor, als er sie erkannte. »Du hast uns hinters Licht geführt und die Frau überredet, die dann mich mit hineingezogen hat.«
    »Ihr habt nur von eurer Freiheit Gebrauch gemacht«, erwiderte die Schlange. »So hat es sein müssen.«
    »Und was sollen wir jetzt tun?«
    »Leben, wachsen, euch vermehren, sterben. Dazu wurdet ihr erschaffen, um Gut und Böse zu erkennen. Wenn Elohim nicht gewollt hätte, dass ihr von der verbotenen Frucht esst, dann hätte er euch diese Wahl gar nicht gelassen. Dass ihr es gewagt habt, von eurer Freiheit Gebrauch zu machen und ihn herauszufordern, hat ihn aber trotzdem in seinem Stolz gekränkt. Er wird sich schon wieder einkriegen. Er hat euch rausgeworfen, aus Angst, ihr könntet auch vom Lebensbaum essen und unsterblich werden wie er. Durch seine Ewigkeit hat er Macht über euch, und die will er nicht aufgeben.«
    »Du hättest mir ja sagen können, dass ich auch vom Lebensbaum essen muss, damit ich dem Tod entrinne«, hielt ihr Eva vor.
    Die Schlange schnalzte mit der Zunge. Als Eva sah, dass diese gespalten war, empfand sie Abscheu.
    »Du bist unverbesserlich«, sagte die Schlange. »Aber glaub bloß nicht, dass die Ewigkeit ein Geschenk ist. Euer Leben ist zwar vergänglich, aber wenigstens werdet ihr euch nicht langweilen. Da ihr nicht das ewige Leben habt, müsst ihr euch fortpflanzen und euch um euer Überleben kümmern, damit habt ihr genug zu tun. Und jetzt muss ich weg hier, ehe er mich erwischt und mir auch noch die Sprache nimmt. Das wäre nämlich nicht das erste Mal. Und ihr müsst da, in die Richtung gehen. Da findet ihr eine andere Höhle.«
     
    Wieder schwankte der Boden, und die Erde erbebte. Zuckende Lichtfetzen verglommen donnernd am Himmel. Die Schlange schob sich rasch ins Gebüsch und war blitzschnell verschwunden.
     
    Adam wandte den Blick zur Frau. Um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, hielten sie sich aneinander fest. Wankend suchten sie Schutz unter einem Baum. Um nicht zu stürzen, klammerten sie sich an den Stamm. Evas weit geöffnete Augen wanderten von hier nach da, ohne sich irgendwo niederzulassen. Er konnte ihre Angst förmlich riechen und empfand zum ersten Mal die Ungewissheit und die Furcht, nicht zu wissen, was zu tun war, wohin sie gehen sollten. Wenn wenigstens die Erde zu beben aufhören würde, dachte er. Er ließ sich mit Eva zu Boden gleiten und legte den Arm um ihre Schultern. Sie zitterte genauso wie er, kauerte sich hin und stützte den Kopf auf die Knie. Dann hörte er sie mit der Erde sprechen, sie bitten, dass sie sich beruhigte.
     

    Audio: Die Vertreibung (01:25)

Kapitel 7
    A ls das Beben nachließ und sie wieder aufstehen konnten, näherten sie sich dem Abgrund, der sie vom Paradies trennte, und warfen einen Blick hinein. Die helle Klarheit, die sonst über ihren Köpfen leuchtete, war einem ungewöhnlich grauen, glanzlosen Himmel gewichen, einem kalten, gelblichen, von Staubwolken durchsetzten Dämmerlicht. Sie betrachteten die Schlucht und hielten im dichten Staub Ausschau nach einem Weg zurück in den Garten, doch der Schlund zog sich rundherum.
    Adam warf sich auf die Knie und vergrub die Stirn im Sand. Er schlug mit den Fäusten auf den Boden und stieß Wut- und Verzweiflungsschreie aus. Eva musterte ihn betroffen. Sie konnte sich auf diese Katastrophe keinen Reim machen, genauso wenig wie auf Elohims heftige Reaktion. War dieser Wutausbruch ausgelöst worden, weil sie es gewagt hatte, die Frucht zu essen, oder weil sie und Adam sich in der Höhle erkannt hatten? Warf er sie hinaus, um nicht sehen zu müssen, was aus ihnen hervorkommen würde, all das, was sie im Fluss erblickt hatte?

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