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Unendlichkeit in ihrer Hand

Unendlichkeit in ihrer Hand

Titel: Unendlichkeit in ihrer Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gioconda Belli
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erzählen, was sie getan hatten, und zu fragen, was sie jetzt tun sollten. Wie konnten sie Gut und Böse voneinander unterscheiden? Genügte es, die Frucht gegessen zu haben, um klar zu sehen, was das Eine und was das Andere war? Und was, wenn sie es nicht erkannten? Ich habe meinen Teil erfüllt, argumentierte sie, jetzt sei Elohim an der Reihe und müsse ihnen zeigen, was aus ihnen werden könnte.
    Aber Adam wollte sich nicht darauf einlassen. Er sei ihr gefolgt und habe von der Frucht gegessen wie sie, sagte er. Aber jetzt solle sie ihm folgen. Die Zweige knackten unter seinen Füßen, und die Vögel flatterten ängstlich auseinander, wenn er sich näherte. Die Erde roch nach Regen. Der Garten war lebendig und unversehrt wie ehedem. Golden schimmerte das Licht der Bäume durch die Lianen, Zweige und Blätter. Die Tiere waren verstummt. Der Mann sprach kaum ein Wort.
    Eva betrachtete seinen Rücken und die Taille mit der darum geschlungenen Liane und den Feigenblättern daran. Die Baumfrucht hatte den seltsamen Wunsch nach süßen Säften in ihr geweckt und danach, Adams Haut mit den Lippen zu erkunden. Sie spürte mit jeder Faser die Luft und die Blätter und wollte alles berühren, mit den Händen ergreifen. Adam sagte nichts, aber sie sah, wie seine Füße den Boden gewahrten, wie er innehielt und witterte. Er hatte sie angesehen, als wollte er sich an ihr reiben, sie mit allem kennenlernen, was sein neu entdeckter Körper vermochte.
     
    Adam wollte der Frau nicht sagen, was er empfand. Vor allem, weil er es sich selbst noch nicht wirklich erklären konnte. Seit er in die Frucht gebissen hatte, fehlte ihm bei allem, was er tat, auf eine seltsame Weise der innere Zusammenhalt. Er nahm eine ungewohnte körperliche Lebendigkeit wahr, die ihm die Ruhe raubte. Er spürte das Gewicht seiner Knochen, die Elastizität seiner Muskeln, den Schwung seiner Bewegungen; er gewahrte die Erde, den Staub und die Feuchtigkeit an den Fußsohlen. Er war außerstande zu sagen, ob er diese neue Wachheit seiner Sinne der bisherigen Leichtigkeit vorzog; oder ob er die gewohnte Langsamkeit seines Daseins dieser Entschlossenheit und dieser Zielstrebigkeit vorzog, die ihn jetzt zu dem Platz zwischen den Felsen trieben, den er auf einem seiner Spaziergänge entdeckt hatte. Er wusste besser denn je, was er wollte, nur seine Furcht bremste noch jeglichen Überschwang. Fest stand, dass er nicht gestorben war. Stimmte es vielleicht, was Eva sagte? Und Elohim war jetzt erleichtert?
     
    Er führte Eva zu dem hinter purpurnen Glockenreben halb verborgenen Eingang. Geschickt schlüpfte sie durch die Ranken und stieß auf der anderen Seite einen Ruf der Verwunderung aus, als sie die Höhle mit den Quarzwänden erblickte. Das kristallene Rosa der Mineralien glitzerte in dem durch ein Loch oben im Berg einfallenden Licht. Aus der Tiefe der Höhle vernahm man ein Rauschen von fließendem Wasser.
    »Ein wunderschöner Platz«, sagte sie und drang weiter vor, bis zur Schattenlinie.
    Der Andere würde sicher Schwierigkeiten haben, sie dort aufzuspüren, bemerkte er.
    »Wenn er alles weiß, dann wird er uns auch hier finden«, erwiderte sie. »Aber hier sind wir wenigstens ein Stück weg von den Bäumen und von der Schlange. Ich bin sicher, dass er uns nicht töten wird. Er hat von Anfang an, seit er uns in den Garten gesetzt hat, gewusst, was geschehen würde. Er hätte uns doch gar nicht erschaffen, wenn die Folgen unseres Tuns unumkehrbar wären.«
    Woher sie denn wüsste, fragte er, dass der Andere sie nicht aus lauter Zorn ins Nichts zurückschicken würde, dorthin, wo er sie hergeholt hatte?
    Das Einzige, was sie mit Gewissheit sagen könne, so Eva, sei, dass der Andere nicht so einfach sei. Das sähe man schon an seiner Schöpfung. Und man merke es daran, wie sich ständig alles veränderte, was sie umgab. Die Pflanzen, die Tiere. Als wäre jedes Geschöpf bloß der Ausgangspunkt für viele andere, sehr viel komplexere Kreationen. Adam, ich habe dich doch mal gefragt, ob auch wir ein Spiegelbild haben, weißt du noch? Ich habe es gesehen. Im Fluss. Es werden viele wie wir die Welt bevölkern, sie werden leben, ihre eigenen Kreationen erschaffen, kompliziert und schön.
    Adam verzog das Gesicht zu einem Lächeln. Hoffentlich, sagte er. Er setzte sich auf den feinen Sand, der den grauen Höhlenboden bedeckte, und streckte die Hand nach ihr aus, damit sie sich zu ihm setzte. Dann legte er ihr den Arm um die Schultern. Eva schmiegte sich an seine

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