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Unendlichkeit in ihrer Hand

Unendlichkeit in ihrer Hand

Titel: Unendlichkeit in ihrer Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gioconda Belli
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Rückweg zur Höhle verblasste das blendende Tageslicht schon, und die milde Nachmittagssonne umschmeichelte sie. Eine leichte Brise erhob sich. Sie ließen den Wald mit dem Fluss hinter sich und steuerten querfeldein auf den Berg zu. Unterwegs erblickten sie in der Ferne eine Elefantenherde und eine Schar Oryxantilopen mit langen Hörnern. Die schienen genauso orientierungslos wie sie selbst umherzuirren. Auch die Tiere hatten von der verbotenen Frucht gegessen, dachte Eva. Womöglich gaben sie ihnen die Schuld daran, aus dem Garten vertrieben worden zu sein. Adam kamen die Hyänen in den Sinn, und er fragte sich, ob diese anderen Tiere wohl zutraulich sein würden oder eher auf sie losgehen. Eva fand, sie sollten lieber nicht zu dicht herangehen.
    »Ich vermisse Kain«, sagte Adam und dachte an den treuen Hund, der sie im Garten begleitet hatte.
    »Und ich die Katze«, sagte Eva. »Komm, lass uns zum Garten gehen und sie holen.«

Kapitel 10
    A ls sie wieder den Abgrund erspähten und die geheimnisvolle Entrücktheit des Gartens, spürte Adam, wie ihm erneut die Tränen aufstiegen. Wäre er ein Tier gewesen, er hätte angesichts dieser Täuschung, deren unerklärliche Schönheit in seine Erinnerung eingebrannt war, vor Schmerz laut aufgejault. Er bemühte sich redlich, seine inneren Vorwürfe gegen die Frau, die Schlange und Elohim zum Schweigen zu bringen. Denn alles Hadern und alles Reden mit der Frau halfen nicht; in der tiefsten Einsamkeit seiner selbst vermochte er die Trauer nicht zu überwinden, von jenem Ort vertrieben worden zu sein, wo er als die außergewöhnlichste und glücklichste aller Kreaturen erschaffen worden war.
    Er sah Eva vor sich hergehen, wie sie sich ein paar blühenden Büschen näherte, um an den Blumen zu riechen. Er bemerkte, dass ihre Haut dunkler war, fast golden, als wäre es ihr auf irgendeine Weise gelungen, sich den Glanz des Paradieses zu bewahren. Er holte sie ein. Nicht zu nah an den Abgrund, sagte er zu ihr. Damit sie nicht noch einmal vom Feuer belagert und zum Rückzug gezwungen würden.
     
    So schritten sie im vorsichtigen Abstand die Schlucht ab. Die nach der Katastrophe aus der fruchtbaren Erde des Gartens Eden herausgerissenen Kriechpflanzen weigerten sich zu verwelken und wuchsen auf dem roten Untergrund weiter. Unterwegs trafen Adam und Eva auf hohe Gräser, Gestrüpp, Pflanzen mit gezackten und stechenden Blättern, die ihnen den Weg versperrten und die Beine zerkratzten. Sie lernten das Ameisengift kennen, Mückenstiche und Schnakenbisse. Eva sprach mit den Insekten, damit sie ihr gehorchten und von ihnen abließen. Als sie feststellte, dass das nichts nützte, ging Adam mit beiden Armen wedelnd vorneweg. Sie sahen Hasen, Fasane, Eichhörnchen und Mäuse, die, anstatt herbeizulaufen, wenn sie sie riefen, fluchtartig das Weite suchten. Adam hörte irgendwo die Wölfe heulen und schätzte, dass sie eingeschüchtert und weit weg waren. Er fragte sich, ob die vertrauten Tiere wohl hier draußen schon auf ihresgleichen gestoßen waren, auf lebenserfahrene Gefährten außerhalb des schützenden Gartens. Er vermisste die Löwen mit den goldenen Mähnen, die Giraffe mit dem langen Hals und den sanften Augen, den herrlichen Phönix und natürlich seinen Begleiter, den kräftigen, klugen und stets folgsamen Hund.
    »Kain!«, rief er. »Kain!«
     
    Er fand ihn bei Sonnenuntergang. Mit einem Kojoten ins Spiel vertieft und nichts ahnend davon, dass der Mann ihn suchte. Doch als er diesen sah, lief er zu ihm und leckte ihm die Hände. Adam ging in die Knie und legte dem Tier die Arme um den Hals. Dass er erkannt wurde, machte den Hund genauso glücklich wie den Mann. Der Kojote beobachtete sie eine Weile. Erst machte er Anstalten, zu ihrem Spiel hinzuzukommen, aber dann kehrte er um und verschwand im Buschwerk. Eva lächelte, als sie den Mann mit Kain über den Boden rollen sah. Sie und die Katze spielten nie so. Die Katze würde sie nie behandeln wie eine andere Katze, Kain dagegen freute sich mit Adam und begrüßte ihn, als wäre er ebenfalls ein Hund.
     
    Als sie die Katze endlich fand, hatte Eva es keineswegs so einfach. Sie musste lange begütigend auf sie einreden, bevor das widerspenstige Tier von dem Ast herunterkam, auf dem es hockte und traurig maunzte. Eva verteilte ein wenig Spucke auf ihrer Hand, um ihm aus ihrem ausgetrockneten Mund zu trinken anzubieten. Die Katze näherte sich zögerlich, aber als Eva ihr schließlich die Flanke kraulte, kam sie vom Baum

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