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Unendlichkeit in ihrer Hand

Unendlichkeit in ihrer Hand

Titel: Unendlichkeit in ihrer Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gioconda Belli
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getragen. Dort ließ er ihn ins Wasser nieder, wo Adam die trägen, schwerelosen Geschöpfe gesehen hatte, die darin wohnten. Er hatte dem Hammerfisch, dem Wal, dem Hai, den Rochen und Delphinen ihre Namen gegeben, auch den Sardinenschwärmen, den Schnecken und Seesternen. Er hatte die lauwarmen Untiefen gesehen und die Schlunde, aus denen unterirdische Feuer ihren Dampf ausstießen. Leuchtfische hatten ihn begleitet, und er ahnte erstmals etwas von der Dunkelheit. In der ersten finsteren Nacht seines Lebens war jene Ahnung einer lichtlosen Welt aus seinem Gedächtnis heraufgestiegen. Er dachte an die kleinen bunten Fische, deren Bilder beim Anblick von Evas Zehen vor seinem geistigen Auge standen, als der Vogel, einen wohligen Wind aufwirbelnd, herabstieß und der Frau zwei Feigen vor die Füße legte. Im nächsten Augenblick schwang er sich wieder in die Lüfte und flog, Schnabel und Flügel wie einen Pfeil ausgerichtet, dem Paradies entgegen.
     
    Sie hob die Feigen vom Boden auf. Beim bloßen Anblick lief ihr das Wasser im Mund zusammen, und der Geschmack von Fruchtsaft und -fleisch war wieder da. Flink wie die Katze nahm Adam sie ihr aus der Hand.
    »Nein, Eva, keine Früchte mehr, habe ich gesagt. Nein. Und schon gar nicht Feigen.«
    Der Mann presste die Feigen in der Hand. Seine Augen folgten dem Phönix in die wohlbekannte Richtung. Bitterkeit überfiel ihn, weil sein Traum, dass er sie in den Garten zurückbringen könnte, geplatzt war.
    »Ich habe solchen Hunger«, sagte sie erschrocken. »Wir müssen etwas essen, Adam. Wir müssen etwas zu uns nehmen.«
    »Ich habe genauso viel Hunger wie du, aber unser Missgeschick macht mich vorsichtig.«
    »Diese hier hat uns doch der Vogel hingelegt, Adam. Die schickt uns sicher der Andere.«
    »Das wissen wir nicht, Eva. Ich dachte, der Phönix würde uns wieder mit zurücknehmen. Und die Feigen … wir wissen es nicht, Eva, was ist, wenn das wieder eine Falle ist«, sagte er hartnäckig. »Wir wissen doch nicht, ob der Andere gegen uns ist oder für uns.«
     
    Von Adams Sturheit und Verbohrtheit eingeschüchtert, schluckte Eva die Tränen herunter, die in ihrem trockenen Mund ganz salzig schmeckten.
    »Bitte, Adam, wirf die Feigen nicht fort.«
    Daraufhin vergrub er sie vor dem Eingang der Höhle. Mit Hilfe eines spitzen Steins grub er ein Loch in die Erde. Unter dem nächtlichen Sternenhimmel unternahm Eva noch weitere Versuche, ihn zu erweichen. Es sind doch zwei, Adam. Gib mir wenigstens eine. Sie konnte ihn nicht überreden. Ohne ein weiteres Wort und ohne sich zu berühren, jeder dem strengen Urteil des anderen ausgesetzt, legten sie sich schlafen.
    Ihr Hunger erschuf Bilder von der Feige, wie sie in der Erde zerfiel. Was sie hätte im Mund haben können, war nun verloren, und alles nur wegen der Unnachgiebigkeit des Mannes und dessen Grausamkeit. Denn es war grausam von ihm gewesen, sie zuschauen zu lassen, wie er die Früchte fortwarf, und noch schlimmer war, dass er für beide entschieden hatte. Er verhielt sich, als hätten ihre Worte kein Gewicht und keinen Klang, als würde er sie gar nicht hören. Aber sie und ihre Worte waren eins. Indem er sie nicht hörte, nahm er ihr die Existenz, ließ er sie im Stich.
    Ihm hingegen war bewusst, dass er sie nicht angehört hatte. Auf sie zu hören schwächte ihn und verunsicherte ihn in seinen Absichten. Sie verließ sich am meisten auf sich selbst, und er wusste nicht mehr, auf wen oder was er sich verlassen sollte. Er wusste nur, dass er sie brauchte. Er vermisste ihre Wärme, ihren Körper.
    Sie wurde von seiner Hand geweckt, die ihr zaghaft über die Seite strich und eine Stelle suchte, wo sie ihm gestatten würde, sie zu umarmen. Nachts pflegte Adam sie in die Höhlung seines Körpers zu betten, so dass ihr Rücken an seiner Brust lag. Als sie merkte, dass der Mann in der Finsternis herumtastete und nach ihr suchte, gab sie nach. Die Erinnerung an ihre Wut genügte nicht, um ihn abzuweisen. Sie ließ zu, dass Adam seinen Arm quer über ihre Brust legte, und schmiegte sich an ihn. Sie fror. Bei Tag war die Höhle angenehm kühl und bot ihnen Schutz, aber des Nachts war sie seelenlos. Da waren sie aufgerufen, selbst Wärme zu erzeugen, indem sich einer an den anderen lehnte. Schweigend kuschelte sie sich in seine Arme. Morgen, flüsterte er ihr ins Ohr, morgen bringe ich dich ans Meer.

Kapitel 11
    S ie liefen, bis sie die Möwen und den Salpetergeruch erreichten.
    Vor ihren Augen tauchte blau und durchsichtig

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