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Unendlichkeit in ihrer Hand

Unendlichkeit in ihrer Hand

Titel: Unendlichkeit in ihrer Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gioconda Belli
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herunter und strich ihr um die Beine.
     
    In Begleitung von Hund und Katze machten sich Mann und Frau auf den Heimweg zu ihrer Höhle. Adam ging vorneweg. Er warf dem Hund einen Stock voraus, und dieser sammelte ihn ein und lief zurück, um ihn abzuliefern. Adam lächelte. Es war das erste Mal, dass Eva ihn so breit lächeln sah, seit das Feuer sie daran gehindert hatte, in den Garten zurückzukehren. Er folgte seinem Weg ohne das geringste Zögern. Sie bewunderte seine Orientierung. Er machte dafür nicht wie der Hund von seiner Nase Gebrauch. Vielmehr reckte er den Arm hoch, sah sich um, zog die Stirn kraus und schien zu wissen, wo es langging. Sein Rücken war sehr breit. Vielleicht war das der Grund, weshalb er sich besser zurechtfand? Was sie betraf, so verwirrte die Landschaft sie. Die Ebene schien endlos. Sie betrachtete die Katze mit ihrem leichten Trippelschritt neben ihr. Auch ohne Worte trösteten die Tiere sie in ihrer Hilflosigkeit und Verlassenheit. Bisweilen verschwanden sie im Dickicht, aber wenn sie gerufen wurden, kehrten sie sofort zurück.
    Lange marschierten sie so einher. Evas Beine wurden ihr immer schwerer, und das seit dem Morgen in ihrem Magen knurrende Loch begann jetzt zu schmerzen. Es kam ihr vor wie ein kleines Tier, das mit seinen Krallen die Innenwände ihres Leibes traktierte und sie biss. Nie zuvor hatte sie eine solche Empfindung gehabt. Sie sah Adam aus den Augenwinkeln an und stellte fest, dass auch er seinen Schritt verlangsamte. Der Himmel, von Wolken übersät, deren Ränder dunkelrot bis rosa leuchteten, verfärbte sich langsam. Eva vernahm ein Brummen. Sie drehte sich um. Adam hielt sich den Magen und krümmte sich.
    »Fühlst du ein Loch? Tut es weh?«
    »Das ist der Hunger, Eva.«
    »Was sollen wir tun?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Zur Höhle ist es noch weit. Auch mir tut es weh. Ich will nicht weiterlaufen.«
    »Lass uns einen Baum suchen. Um zu rasten.«
     
    Ehe sie einen Baum fanden, wo sie sich anlehnen konnten, mussten sie noch ein gutes Stück weiterlaufen. In der Ebene gab es kaum Bäume, und wenn, dann eher niedrige. Nur die schlanken Palmen reckten sich überall himmelwärts, und ihre Wedel schaukelten im Wind.
    Schließlich fanden sie ein Plätzchen. Müde sanken sie auf die Erde nieder. Hund und Katze streckten sich neben ihnen aus. Der Hunger war genauso plötzlich da wie die Erschöpfung. Ermattet, wie er war, schlief Adam sofort ein.
    Eva beobachtete, wie die Dämmerung in die Nacht überging, und empfand die Finsternis diesmal als sanft, wie einen dichten Nebel, der alles einhüllte. Nach einer Weile vermochten ihre Augen sogar die Umrisse der umgebenden Formen zu erkennen. Das beruhigte sie. Sie vernahm ein Pfeifen, dann den traurigen Gesang eines Vogels und ein paar rauhe, unbeschreibliche Laute. Sie spähte in die Dunkelheit und sah, dass das Firmament von Löchern gesprenkelt war, die das Licht hindurchließen. Sie fragte sich, ob durch diese Löcher wohl die weißen Blütenblätter herabgerieselt waren, von denen sie sich früher ernährt hatten. Die Erinnerung daran und an den Geschmack der verbotenen Feige ließ ihr die Zunge am Gaumen kleben und schnürte ihr den Magen zu. Adam glaubte von der Stimme gehört zu haben, dass sie fortan zu Kräutern und Dornen verdammt waren.
    Eva tastete die Erde um sich ab, riss ein paar Grashalme aus, steckte sie in den Mund und kaute. Der fade, bitterliche Geschmack enttäuschte sie. Sie verfluchte sich selbst dafür, die Frucht gegessen und so selbstgewiss getan zu haben, so herausfordernd gewesen zu sein. Sie fragte sich, ob das, was sie so sehnsüchtig zu wissen verlangte, überhaupt all die Mühe wert war. Was sollten Wissen und Freiheit nützen, wenn es nur darum ging, ihren Hunger zu stillen! Wenn sie gehorsamer gewesen wäre, so überlegte sie, ob Elohim sie dann wohl im Garten behalten hätte? Aber warum reagierte er so verletzt, wenn das alles doch zu seinem Plan gehörte? Vielleicht kam Elohim ja mit den vielen Welten, die er schuf, durcheinander und vergaß dann die dem einzelnen Geschöpf auferlegte Bestimmung. Es war naiv gewesen, zu glauben, dass ihr allein durch den Verzehr der Frucht der böse oder gute Sinn all dessen offenbart werden würde!
     
    Adam erwachte im roten Licht der Morgendämmerung. Diesmal überkam ihn nicht die schiere Angst, sondern er fühlte sich belebt. Er beschloss, dass ihm der Tag lieber war als die Nacht. Unweit des Baumes, unter dem sie sich am Abend niedergelassen hatten,

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