Unendlichkeit in ihrer Hand
darüber im Ungewissen bleiben.
Der Berg wuchs über der Höhle empor. Hier und da ragten größere Felsen heraus, und dazwischen war der Boden sandig, besiedelt von Dornengestrüpp. Je weiter sie hinaufkamen, desto schwerer wurden ihre Körper. Ihre Füße brannten und ebenso ihre Hände, mit denen sie im Geröll Halt suchten. Der Himmel hatte die Farbe gewechselt. Er war jetzt tiefblau. Wolkenlos. Sein Feuer war erloschen, und die Sonnenscheibe war weiß blendend, so dass man die Augen abwenden musste. Erneut spürten sie, wie die glühende Hitze ihre nackte Haut peitschte.
Eva bluteten die Füße. Ich kann nicht mehr, sagte sie, geh alleine weiter, aber Adam nahm sie huckepack und setzte keuchend, schwitzend und entkräftet den Weg fort. Er verstand nicht, wo plötzlich diese Erschöpfung herkam und wieso etwas, was er vorher vollkommen mühelos getan hatte, auf einmal so anstrengend war. Eva jammerte in einem fort. Ihre Klagen drangen in ihn ein, durch Nase, Augen und Ohren, und zerrissen ihn innerlich. Insgeheim verfluchte er Elohim. Endlich waren sie am Berggipfel angelangt. Unter ihnen breitete sich die Erde aus mit ihrer endlosen Weite, den rauchenden Vulkanen, der Paradiesinsel, den Flüssen, die sich ins Meer ergossen.
Eva schwieg überwältigt. Das war zwar nicht das Paradies, dennoch fand sie die Landschaft wunderschön. Wunderschön und auf eine sonderbare Weise ihr zugehörig.
»Wenn wir sterben, werden wir das alles nicht mehr sehen können«, sagte sie.
»Ich habe dich nicht allein gelassen, als du die Frucht essen wolltest«, sagte Adam. »Nun lass du mich auch nicht allein.«
Nach einem flüchtigen Moment des Zweifelns und Bedauerns stürzte sich Adam von einem Felsvorsprung in die Leere. Die Frau sprang hinterher.
Sie fielen Hals über Kopf den Abhang hinunter, die Luft pfiff ihnen um die Ohren. Eva schloss die Augen und presste die Lippen zusammen.
Adam sah den roten Staub vom Boden aufwirbeln und einen Windtunnel bilden, der sie umgab wie ein schwindelerregender Sog, sie im Sturz auffing und durch die Luft trug bis zu einem Wasserstrom.
Ein zweites Mal vernahmen sie die Stimme in ihrem Innern.
»Ihr seid noch nicht dran mit Sterben«, sagte sie. »Zur gegebenen Zeit werdet ihr den Tod kennenlernen. Und wenn er kommt, dann werdet ihr ihn gewiss noch hinauszögern wollen.«
Kapitel 9
F röstelnd und mit den Armen rudernd kamen sie aus dem Wasser ans Land. Sie erkannten das Flussufer mit der Vegetation aus Palmen, Zedern und Kiefern, das sie aus der Ferne gesehen hatten. Dorthin hatte Elohim sie also geführt. An der Böschung fanden sie erneut Felle, um sich zu bekleiden. Die Sonne stand hoch am Himmel. Verwirrt, zerknirscht und ohne ein Wort zu sagen, legten sie sich am Ufer ins Gras. Die wohlige Wärme, die sich allmählich in ihrem Körper ausbreitete, beruhigte ihr Zittern, den Schwindel und den Schock des freien Falls.
»Ich hatte furchtbare Angst«, gestand Eva. »Verlang nicht noch einmal von mir, dass ich zu sterben versuche.«
Adam nickte. Er hatte sehr viel Wasser geschluckt. Sie tat ihm gut, diese kristallklare Flüssigkeit, sie erfrischte ihm Kehle und Mund. Vorsichtig wartete er eine Weile ab, um sicherzugehen, dass sie ihm nicht schadete, dann forderte er Eva auf, das Wasser zu kosten.
»Trink, Eva, trink. Es wird dir nichts passieren. Es schmeckt köstlich«, sagte er, nahm sie an der Hand und führte sie zu einem Stein, wo sie sich hinabbeugen und mit den hohlen Händen Wasser schöpfen konnte, das sie an den Mund hob.
Eva trank. Genießerisch schluckte sie das Nass und leckte es sich bis zum letzten Tropfen von den Fingern, um sie dann gleich wieder einzutauchen, immer und immer wieder. Adam lächelte. Er bewunderte, dass sie niemals halbe Sachen machte. Entweder sie vertraute ihm oder sie bot ihm die Stirn. Und diesmal sprach aus ihrer Miene der uneingeschränkte Genuss.
»Sieh mal einer an, da rettet er euch, wenn ihr beschließt zu sterben! Versteh einer mal diesen Elohim! Ich habe euch ja gesagt, dass er voller Widersprüche steckt. Er macht etwas, und anschließend bereut er es wieder. Ich bin sicher, dass er vor Neugier vergeht, zu sehen, was ihr mit der Freiheit, die ihr euch genommen habt, nun anstellen werdet.«
Gleichzeitig hoben sie die Köpfe. Die Schlange lag eingerollt auf dem Ast eines niedrigen Baumes direkt am Wasser und sprach.
»Du schon wieder«, sagte Adam.
»Ich bin jetzt auch alleine und langweile mich.«
»Wenn das mit dem Sterben
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