Unendlichkeit in ihrer Hand
Angst.
»Du bist grausam«, sagte sie.
»Du warst ungehorsam.«
»Erzähl mir nicht, dass du nicht genau das vorhattest. Du hast uns gar nicht als ewige Wesen erdacht. Ebenso gut wie ich hast du gewusst, dass genau das hier passieren würde.«
»Richtig. Aber die Herausforderung für mich bestand darin, nicht einzugreifen. Zuzulassen, dass ihr frei seid.«
»Und uns dafür zu bestrafen.«
»Für diese Schlussfolgerung ist es noch zu früh. Ich gebe zu, dass ich seit jeher gewusst habe, was geschehen würde. Aber es hat genauso sein müssen.«
»Gib mir das Licht wieder.«
»Komm später mit Adam zum Eingang der Höhle. Das Licht wird da sein und auf euch warten. Tag für Tag. Fortan sollt ihr nämlich in der Zeit leben.«
»Wenigstens sind wir nicht tot«, sagte Eva, als die Stimme verstummte.
Als der Morgen kam, stellte Adam fest, dass die Dunkelheit aus der Höhle wich, sich wie Nebelschwaden auflöste. Eva schlummerte noch. Ob sie gerade in ihr Bewusstsein blickte? Wo war der Ort, an den man im Traum gelangte? Ob sie wohl die Dinge verstand, auf die er sich keinen Reim machen konnte? Nur ungern sah er sie schlafen. Er mochte es nicht, wenn sie die Augen schloss und ihr Geist nicht mehr ihm gehörte. Aber in der finsteren Höhle war es eine Erleichterung gewesen, sich dieser sonderbaren Reglosigkeit zu überlassen, dem Ruf des Körpers nach Stillstand zu folgen und keine Wehmut, keine Angst und keine Ungewissheit mehr zu fühlen. Da überkam ihn erneut die Unruhe. Ob Elohim Wort gehalten hatte und ihnen das Licht zurückgab?
Er näherte sich dem Höhlenausgang, aber was er da sah, jagte ihm einen solchen Schrecken ein, dass er nicht umhinkonnte, laut aufzuschreien. Der weißliche Himmel vom Vortag brannte lichterloh von einem Ende zum andern, sogar die Wolken hatten Feuer gefangen. Er rief Eva. Schlaftrunken wankte sie herbei, als lernte sie gerade erst, ihre Beine zu benutzen. Sie sah den glühenden Himmel. Dann schob sie sich an ihm vorbei aus der Höhle hinaus und breitete die Arme aus, der lauen Luft entgegen. Sie sah am Firmament die rote Sonnenscheibe aus dem Horizont aufsteigen.
»Der Himmel steht in Flammen, aber das Feuer reicht nicht bis auf die Erde, um sie zu verbrennen«, sagte sie.
Adam kam zu ihr hinaus. Seine Augen waren mit Tränen gefüllt.
Eva legte die Arme um seinen Brustkorb. Er, der größer war, ließ seinen Kopf auf den ihren sinken und brach in ein hemmungsloses Schluchzen aus. Was sollte nur aus ihnen werden, fragte er. Wie sollten sie fernab vom Garten weiterleben, dazu mit diesen schmerzenden Körpern und dem quälenden Durst.
»Was haben wir nur getan, Eva? Was haben wir getan? Was nützt uns Wissen in dieser grenzenlosen Einsamkeit. Was sollen wir bloß tun? Wo sollen wir bloß hin?«
Sie hatte keine Antwort darauf. Nichts war so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Sie schlang die Arme noch fester um Adam. Sie ertrug es nicht, ihn leiden zu sehen. Sein Kummer hallte in ihr wider, erschütterte sie bis in die Knochen. Am liebsten hätte sie ihn mit ihrer Haut eingehüllt und unzählige Hände gehabt, um ihn zu liebkosen. Die Ungeduld, die der Mann bisweilen in ihr auslöste, wich einzig dem Wunsch, ihn zu trösten, ihn zu lieben, so ungestüm wie der Wind und so sanft murmelnd wie das Wasser im Fluss. Sie fragte sich, ob er das spürte, ob er es in ihrem Haar riechen konnte und ob seine Verzweiflung nachließe, wenn er wüsste, wie groß ihre Zärtlichkeit für ihn war.
»Lass uns den Tod ausprobieren«, sagte Adam und richtete sich unversehens auf. »Vielleicht kommen wir ja zurück in den Garten, wenn wir sterben.«
»Du hast vorhin noch gesagt, dass dir der Tod nicht gefällt.«
»Ich habe die Nacht für den Tod gehalten. Wir fürchten uns vor dem Tod, weil wir ihn nicht kennen.«
»Und wie willst du es anstellen, zu sterben? Das ist gar nicht so einfach«, wandte Eva verdutzt ein.
»Ich habe eine Idee. Lass uns auf den Berg steigen«, schlug er vor und gewann, von der eigenen Entschlossenheit beflügelt, die Fassung zurück.
Er begann den Aufstieg. Eva folgte ihm brav. Sie wusste nicht, was sterben war. Die Schlange hatte gesagt, der Tod bestünde darin, nichts zu fühlen, aber was nach dem Tod kam, das hatte sie nicht gesagt. Womöglich lohnte es sich, es auszuprobieren. Das war jedenfalls der beste Weg, es herauszufinden und sich ein Bild davon zu machen, ob der Tod wirklich so furchterregend war. Lieber Bescheid wissen, dachte sie, als länger
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