Unendlichkeit in ihrer Hand
das nicht.«
»Es stört mich, wenn wir dafür Tiere töten müssen.«
»Es ist uns so bestimmt. Wir haben uns das nicht ausgesucht.«
»Du wirst hart werden müssen, um es zu tun. Du wirst lernen, grausam zu sein.«
»Mag sein, dass das böse ist, Eva, aber das Böse gehört auch zum Wissen.«
Evas Gedanken wanderten wehmütig zurück zum Licht und zur Stille des Gartens. Zur Ewigkeit. Sie entsann sich ihrer Seelenruhe und der schlichten Gedanken ihres von Schrecken, vom Weinen, von Angst und Wut noch unberührten Gemüts; sie hatte sich leicht gefühlt wie ein Blatt, das auf dem Wasser treibt.
»Wenn wir nicht von der Frucht gegessen hätten«, sagte sie und sah ihm dabei fest in die Augen, »dann hätte ich nie eine Feige gekostet und auch keine Auster. Ich hätte nicht gesehen, wie sich der Phönix aus seiner Asche erhebt. Ich hätte die Nacht nicht kennengelernt. Ich hätte nicht gewusst, dass ich mich allein fühle, wenn du fortgehst, und nie erfahren, wie mein trotz des Feuers fröstelnder Körper plötzlich von Wärme durchströmt wurde, als ich dich meinen Namen rufen hörte. Ich würde deine Nacktheit immer noch ohne jede Regung ansehen. Ich hätte nie geahnt, wie sehr es mir gefällt, wenn du wie ein Fisch in mich hineingleitest, um das Meer zu erfinden.«
»Und ich hätte nie erfahren, dass ich es nicht ertrage, wenn du Hunger hast. Dass ich mir grausam vorkomme, wenn du blass wirst und ich nichts tun kann, um es zu verhindern. Ich habe nicht entschieden, dass die Dinge sind, wie sie sind, Eva. Ich lerne bloß aus dem, was ich um mich herum sehe.«
Audio: Die Folgen der Frucht (02:05)
Der Mann sagte nichts mehr. Auch sie hüllte sich in Schweigen. Wieso dachten sie so verschieden?, fragte sie sich. Wer von ihnen hatte recht? Unter den Felsen unweit der Höhle schmiegte sie sich dicht an ihn, und später, als sie rittlings auf ihm saß, ihr Kopf eingerahmt vom abnehmenden Mond, sorgte sie dafür, dass der Mann den Hunger vergaß und auch die Notwendigkeit zu töten.
Gegen Morgen nahmen sie die Höhle wieder in Besitz. Die Hitze darin war einem wohlig warmen Dunst gewichen. Auf dem Sand der Grotte glommen schwach ein paar Steine. Adam ließ den Hasen achtlos fallen. Kurz darauf ließ ihm der von der Herdstelle verströmte Fleischgeruch das Wasser im Mund zusammenlaufen. Das Fleisch wurde im Feuer goldbraun und war dann viel leichter mit den Zähnen zu zerteilen. Er dachte, dass er lernen musste, die Macht des Feuers zu bändigen. Denn es ist, wie alles andere auch, Gut und Böse in einem, ging ihm auf.
Eva sah ihm zu, ohne näher zu kommen.
Am folgenden Tag war sie es, die loszog, um einen Erkundungsgang zu machen. Sie wollte alleine gehen. Aber geh nicht zu weit fort, sagte er, sonst kannst du am Ende nicht mehr zurückkehren, das darf nicht passieren. Wie kam er darauf, dass sie nicht genauso fortgehen und wiederkommen konnte, wie er fortgegangen und wiedergekommen war? Sie lächelte in sich hinein und ging.
Das Sonnenlicht wurde weich und schwerelos durch einen wolkenverhangenen Himmel gefiltert, als sie den Weg zum Fluss einschlug. Dort wollte sie eine Möglichkeit suchen, ans andere Ufer zu gelangen, in das frische, satte Grün. Auf der Steppe mit dem hohen gelben Gras sprang der Hund hinter ihr her. Immer wieder flitzte er an ihr vorbei und ging mit der Schnauze am Boden ein Stück vorneweg, wo die flüchtenden Hasen in alle Richtungen auseinanderstoben. Es waren wirklich sehr viele. Sie stellte sich ihre kleinen, ängstlichen Herzen vor. Ein Falke stieß im Sturzflug herab, holte sich einen und trug ihn durch die Lüfte davon. Er wird ihn töten. Er wird ihn fressen, dachte sie. Der Geruch von Tierfleisch kam ihr wieder in den Sinn. Die Vorstellung von Lebewesen, die sich gegenseitig auffraßen, war abscheulich. Das Blut. Die Reißzähne des Hundes. Der Schmerz der geopferten Tiere. Traurig war das. Was sollte Gutes dabei herauskommen, wenn sich das Leben am Tod nährte? Wer hatte das so eingerichtet? Was würden sie tun, wenn ein anderes Tier versuchte, sie zu töten? Nein, es konnte nicht sein, dass dies die einzige Art war, sich Nahrung zu beschaffen. Die Erde brachte Feigen und Früchte hervor. Wenn sie Vögel und Elefanten speiste, dann musste sie auch für sie etwas Süßes, Gutes bereithalten. Oh, wie sie die weißen Blütenblätter aus dem Garten vermisste!
Sie erreichte den Fluss. Eine Weile stand sie still da, um ihn zu betrachten. Sie stellte sich ein
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