Unendlichkeit in ihrer Hand
großartigen Bison mit dem gebeugten Nacken. Den roten Staub von den Felsen verwendete sie für die Sonne. Sie zeichnete die Linien des Flussufers und die Steine an seinen Rändern, und ihr war, als hörte sie das Wasser in ihren Ohren rauschen.
Sie stellte auch Adam dar auf seinen Streifzügen. Sein Abbild war groß, monumental, erhabener und stärker als das jedes Tieres, das ihm begegnen mochte. Sie zeichnete ihn, wie er liebliche Landschaften durchquerte und fernab von jeder Bedrohung im Schutze der Felsen schlummerte, und war überzeugt, dass die Wirklichkeit einen Weg finden würde, ihren Bildern zu folgen.
»Das soll ich sein, der ich mich jede Nacht davor gefürchtet habe, von den Hyänen und Kojoten aufgefressen zu werden?«, machte sich Adam lustig, um seine Verblüffung zu verbergen, plötzlich Abbilder der Wirklichkeit an den Wänden zu sehen.
Adam hatte schon bald die Macht der Figuren entdeckt. Sich die Zeichnungen vorzustellen und zu wissen, dass Eva seine Rückkehr gemalt hatte, beruhigte ihn. Bei jedem Heimkommen erzählte er Eva seine Abenteuer in allen Einzelheiten, damit sie diese in ihren Malereien nacherlebte. Voller Bewunderung sah er dabei zu, wie sie die Hand bewegte und sich die Striche von ihren Fingern lösten und die Essenz von Tiger und Hirsch wiedergaben, ohne dass sie einen Hirsch oder einen Tiger vor sich hatte. Adam fand im Schein des Feuers Freude daran, ihr von seinen Ausflügen zu berichten, und erlag immer öfter der Versuchung, die Wirklichkeit mit seinen Fantasien auszuschmücken. Er mochte es, wenn sie ihm mit ungeteilter Aufmerksamkeit lauschte und regelrecht an seinen Lippen hing. Dann kam es ihm vor, als wäre sie dabei gewesen und er hätte all das an ihrer Seite erlebt.
Gegen Ende des Winters war der Mann so ausgezehrt und entkräftet, dass auch er die Höhle nicht mehr verließ. Tag für Tag ernährten sie sich nur noch von Stroh, Kräutern und Insekten. Zwei Fledermauspaare hatten sich bei ihnen in der Höhle eingenistet, und sie hörten sie umherflattern oder sahen sie kopfüber an der Decke hängen und schlafen. Eva verlor den Drang zu malen. Schließlich machten sie sich, vom Überlebenskampf erschöpft, zum Sterben bereit.
»Wir sollten keine Angst vor dem Tod haben«, sagte sie. »Vielleicht sind die Tiere deshalb so glücklich, weil sie keine Angst davor haben, Adam.«
»Vielleicht sind wir ja auch nie ewig gewesen. Vielleicht haben wir bloß nicht gewusst, dass wir sterblich sind. Vielleicht war ja das Paradies genau das«, sinnierte er.
Eva weinte. Sie weinte jetzt häufig. Sie dachte, dass durch das Weinen das Wasser aus ihrem Bauch abfließen würde. Adam umarmte sie. Seine Arme konnten sie jetzt nicht mehr vollständig umfassen. Er drang auch nicht mehr in sie ein, weil er fürchtete, von der Kreatur, die in ihrem Bauch lebte, gefangen zu werden. Aber er bettete sie auf seine Brust. Wenigstens im Schlaf erfuhren sie Linderung. Die grauen, lichtlosen Tage glichen den Vollmondnächten. Je mehr sie schliefen, desto größer war ihr Schlafbedürfnis. Sie erwachten nur noch, um den Durst zu stillen, Wasser zu lassen und die Eingeweide zu entleeren. Starr vor Kälte schaute Adam aus dem Höhleneingang nach draußen und fragte sich, ob die nächtlichen Sterne nicht vielleicht glitzernder Sand an einem dunklen Meer auf der anderen Seite des Himmels waren, in dem sie am Ende untergehen würden.
Eines Tages, als sie wieder einmal vom Tod träumten, von gefährlichen Wanderungen am Rande des Abgrunds und von neuen vergeblichen Versuchen, in den Garten zurückzukehren, weckte Eva ein deutlich durch den Höhleneingang vernehmbares Wasserrauschen.
Sie spürte einen wärmeren Luftzug. Sie schlug die Augen auf. Dann betrachtete sie Adam, der kraftlos dalag und mit dem Arm über dem Gesicht schlief. Sie berührte ihren Bauch, um sich zu vergewissern, dass das Geräusch nicht vom überlaufenden Meer in ihr herrührte. Sie richtete sich auf dem flachen Felsen auf und sah das Wasser vor der Höhle in langen, durchsichtigen, glitzernden Fäden herabfließen. Sie rüttelte Adam wach.
»Es regnet. Es regnet!«, rief sie jubelnd. Jetzt war sie sicher, dass sie nicht mehr vor Kälte umkommen würden.
Sie hatten ihren ersten Winter überlebt.
Kapitel 17
A dam und sie badeten im Regen. Sie waren abgemagert. Sie betrachteten sich gegenseitig und zeigten auf ihre Knochen. Dann lachten sie. Das kalte Wasser wusch ihnen den Schlaf aus den Augen,
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