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Unendlichkeit in ihrer Hand

Unendlichkeit in ihrer Hand

Titel: Unendlichkeit in ihrer Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gioconda Belli
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frischen Blätter setzten sie ihren Weg am Flussufer fort. Die unsichtbar in der Luft schwebenden Pollen kitzelten in der Nase, und sie mussten niesen. In der Wiese reckten die Wildblumen ihre gelben, purpurnen und orangefarbigen Köpfe empor. Es roch nach Wurzeln, nach feuchter, satter Erde, und die Luft war voll vom Wimpernschlag der Schmetterlingsflügel und vom Sirren der Insekten, die überall umhersprangen. Wie soll man Elohim je verstehen?, dachte Adam; auch die Erde, in die er sie ausgesetzt hatte, trug ja einen Garten unter der Haut! Mit Tränen in den Augen betrachtete er das rundum sprießende reichliche Grün.
     
    Gesättigt vom Anblick, von den Lauten und dem überall wachsenden und sich entfaltenden Leben der Erde, die sie für tot gehalten hatten, machten sie sich auf den Rückweg zur Höhle. Auf halber Strecke vernahmen sie einen schrillen Klagelaut im Unterholz. Eva schob die Zweige auseinander. Auf der Wiese lag eine Stute und schlug mit den Hufen in die Luft, während sie sich vor Schmerz krümmte. Eva bemerkte, dass ihr Bauch genauso prall war wie ihr eigener, und sah das geschwollene Geschlecht.
    »Ich muss hingehen, um zu sehen, was sie macht, Adam. Ich glaube, auch ihre Zeit ist da.«
    Eva ging vorsichtig näher. Dann kniete sie sich neben das Tier ins Gras. Die Stute machte Anstalten, sich zu bewegen, gab den Versuch aber fast augenblicklich resigniert wieder auf. Eva führte, um sie nicht zu erschrecken, sachte ihre Hände näher und strich ihr dann ganz zart über den großen gewölbten Leib. Die Haut war gespannt und fühlte sich sonderbar hart und beinah versteinert an, wie ihr eigener Bauch, wenn er sich zusammenzog. Mit der Rechten streichelte sie dem Tier die lange Schnauze. Die Stute sah sie mit riesigen, erschrockenen Augen an. Eva strich ihr weiter über den Bauch, über die Schnauze und über das Fell am zusammengebissenen Kiefer, indem sie besänftigende Laute von sich gab, genauso wie sie es bei Adam zu tun pflegte.
    Dieser betrachtete den rätselhaften Vollmond im Körper der Frau und die steile Kurve zwischen den Beinen der Stute. Das Pferd und die Frau sahen sich in die Augen, und Evas langes dunkles Haar umrahmte das Profil ihres geneigten Kopfes.
    Was für ein Wissen haben sie, das mir abgeht?, dachte Adam. Ihn durchfuhr die gleiche Ehrfurcht wie damals, als er zum ersten Mal den Lebensbaum erblickt hatte.
     
    Beide hielten sie die Luft an, als zwei winzige Beine im Geschlecht der Gebärenden erschienen, die nach einem langen, schmerzlichen Wiehern ein kleines Fohlen ausstieß: ein vollkommenes kleines Pferd, nach ihrem Bilde geformt. Umhüllt vom Gespinst einer weißen, blutigen Schmiere, blieb das Junge im Gras liegen. Weder er noch sie wagten, es zu berühren. Eine Stunde verging, erst dann teilte die Stute die Hülle des Fohlens mit ihren Zähnen, und das Tierchen unternahm den ersten Versuch, sich auf die Beine zu stellen. Mehrmals stürzte es und stand wieder auf, bis es geschafft war. Schnaufend begann die Stute, ebenfalls wieder aufrecht, ihr Junges voller Fürsorge zu lecken.
     
    Eva berührte ihre große Rundung. Die Luft entwich ihrer Lunge mit hörbarer Erleichterung und einem Erstaunen. So war es, dachte sie. Adam hatte recht. Wenn die Tiere es konnten, dann würde sie es noch besser können.

Kapitel 18
    E va konnte in dieser Nacht kein Auge zutun, weil ihr die Vorstellung der winzigen Kinder, die ihr die Schlange angekündigt hatte, keine Ruhe ließ. Sie musste leise vor sich hin lachen, gab sich aber Mühe, Adam nicht zu wecken, als sie daran dachte, wie erst sie und dann der Mann ihren Bauch mit der Vorstellung von Fischen, Delphinen und sogar Meeresungeheuern gefüllt hatten.
    Sie schlang die Arme um den eigenen Leib. Sie dachte an ihr kleines, feuchtes Geschlecht, das ihr vorkam wie eine fleischige Molluske. Sie schauderte. Vielleicht würde sie vollständig aufgerissen werden. Die Augen fest geschlossen, versuchte sie, ihre aufkommende Angst zu beschwichtigen. Die Stute war nach der schweren Aufgabe wieder aufgestanden. So würde sie es auch machen. Sie weigerte sich, an den Schmerz zu denken. Sie versuchte, sich ihre Tochter und ihren Sohn vorzustellen. Ob sie wohl so waren wie sie – oder wie er? Oder waren sie vielleicht ganz anders, so wie sie sich von Elohim unterschieden? Sie strich sich mit der Hand über den festen, prallen Leib. Sie wartete. Sie spürte die Bewegungen des Wassers, das sanfte Schieben und Pochen. Da waren sie in ihr drin, so

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