Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unendlichkeit in ihrer Hand

Unendlichkeit in ihrer Hand

Titel: Unendlichkeit in ihrer Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gioconda Belli
Vom Netzwerk:
wie sie in Adams Rippe verborgen gewesen war.
    Aber er würde niemanden mehr auf die Welt bringen. Und wieso dann sie? Wieso war sie es, die ihre Einöde bevölkern würde? War das Leben ein Geschenk oder eine Strafe? Warum hatte Elohim sie zur Verbündeten seiner Schöpfung erwählt?
    Wie die Kleinen wohl sind? Wann werde ich sie kennenlernen? Wann lassen sie sich endlich blicken? Was wird genau passieren? Wie werden sie sich ankündigen? Woher sollte sie wissen, an welchem Tag es passieren würde? Was würde zuerst erscheinen, die Füße, die Hände oder der Kopf?
     
    Am nächsten Tag setzte sie Adam mit ihren Fragen zu. Was konnte er ihr schon sagen?, fragte er zurück. Er hatte kaum eine Vorstellung davon, was vor sich gehen würde. Bei dem Gedanken, dass die Kinder auf die gleiche Weise herauskommen könnten wie das Fohlen aus der Stute, verkrampfte sich unwillkürlich sein ganzer Unterleib. Lieber stellte er sich vor, dass die Geschöpfe eines Tages einfach bei ihnen sein würden, genauso wie Eva neben ihm erschienen war. Aber die Frau war sicher, dass das nicht der Fall sein würde.
    »Es wird mir weh tun. Die Schlange hat es mir gesagt. Vielleicht öffnet sich die Haut. Vielleicht platzt der Bauch auf wie ein Ei. Oder sie sprießen wie Blumen aus meiner Bauchdecke«, fantasierte sie und amüsierte sich über Adams Unruhe.
     
    Ungelenk und behäbig, wie sie war, ging sie am Nachmittag hinaus. In den Zweigen des Feigenbaumes entdeckte sie das Nest eines Drosselpärchens und sah die Vögel mit Insekten und Würmern im Schnabel herbeifliegen, um ihre Jungen zu füttern, die aussahen wie kleine Flaumbällchen. Dann stand sie am Flussufer gegen einen Baum gelehnt und beobachtete, wie die Schafe, die Bisons, die Ziegen und die Wildkatzen ihre Jungen zum Wasser führten. Sie bildete sich ein, zuschauen zu können, wie sich Herden und Insektenschwärme zahlenmäßig vergrößerten. Sie hörte das Leben, das sich surrend und in rasender Geschwindigkeit vervielfältigte.
    Sie zog sich allmählich in sich selbst zurück, lauschte in sich hinein und dachte, dass sie die Wesen, die in ihr wohnten, schon hören würde, wenn sie ihr ankündigten, dass ihre Zeit da sei.
    Er nähte mehrere Hasenfelle zusammen und breitete sie jede Nacht neben Eva aus, falls die Geschöpfe an ihrer Seite auftauchen sollten.
     
    Es war kaum Zeit vergangen. Der Morgen graute. Eva erhob sich, um Wasser zu lassen, und während sie das tat, floss ihr plötzlich ein Sturzbach über die Beine. Sie war verwirrt. Hatte sie sich getäuscht, und ihr aufgeblähter Bauch barg am Ende doch ein ganzes Meer? Sie erwartete, im nächsten Moment von einem Fischschwarm umringt zu sein, doch war in dem von der glimmenden Feuerstelle beleuchteten Halbdunkel weder ein Fisch noch ein anderes Meeresgeschöpf zu sehen.
    Sie kehrte zu Adam zurück, weckte ihn aber erst ein wenig später. »Es tut weh, Adam. Wie damals, als ich geblutet habe.«
    Er wischte sich den Schlaf aus den Augen. Der helle Dunst des aufziehenden Morgens stand im Höhleneingang. Eva ging auf und ab und hielt sich dabei mit beiden Händen den Unterleib.
    »Was sollen wir tun?«, fragte Adam.
    »Ich bin eine Höhle. Da werden sie herauskommen. Du musst dich auf die andere Seite stellen, damit sie nicht auf die Steine fallen.«
    »Glaubst du, dass ihnen das Leben außerhalb des Gartens gefallen wird?«
    »Ja, schon, sie kennen ja den Garten nicht, deshalb können sie ihn auch nicht vermissen«, erwiderte sie und wanderte weiter auf und ab.
    »Glaubst du nicht, dass sie sich an all das erinnern können, woran wir uns erinnern? Sie sind doch unser Spiegelbild.«
    »Wir tragen doch auch nicht Elohims Erinnerungen in uns.«
    »Stimmt.«
    »Außer, seine Erinnerungen waren in der Stimme, die wir am Anfang vernommen haben. Manchmal habe ich das Gefühl, dass unser Impuls, Dinge mit den Händen zu machen, von ihm stammt.«
    Eva keuchte plötzlich. Sie blieb stehen. Sie krümmte sich.
    »Adam, Adam, sie beißen mich!«
    Von einem Augenblick zum anderen wurde sie vom Schmerz völlig überwältigt. Adam half ihr, damit sie sich auf den Stein legte, der ihnen als Schlafstatt diente, aber Eva wollte nicht liegen. Sie sank zu Boden und suchte mit dem Rücken einen Felsen zum Anlehnen. Der Schmerz hatte wieder nachgelassen.
    »Ich dachte, sie würden mich auffressen«, lächelte Eva schweißgebadet.
    Wenig später wiederholte sich das Ganze, und nach einer Pause wieder. Der Schmerz kam und ging. »Er hat schon

Weitere Kostenlose Bücher