Unendlichkeit in ihrer Hand
in alle Richtungen spritzte und sich in dünnen Rinnsalen sammelte, die im rötlichen Schlamm winzige Deltas bildeten. Kain und Adam wanderten festen Schrittes voran und hüpften über die Pfützen, dabei sogen sie die kräftigen Gerüche ein. Plötzlich hielt Kain inne. Er spitzte die Ohren und knurrte. Im Dickicht entdeckte Adam einen kleinen Bären, ein Junges, das neugierig aus dem Unterholz spähte.
Er rief Kain zurück. Nachdem er erlebt hatte, wie die Tiere Eva umringten, dachte er, seine Beziehung zu ihnen wäre wieder so wie in den Tagen des Gartens. Er war in Sorge um die kleinen Tiere, weil er sie ja weiter jagen musste, gleichzeitig war er davon überzeugt, dass sie genau deshalb so zahlreich waren, damit sie ihnen als Nahrung dienen konnten. Freundschaftlich, fast väterlich ging er auf das Jungtier zu und sprach beruhigend auf es ein. Der kleine Bär rührte sich nicht. Adam war im Begriff, die Hand auszustrecken, um ihm den Kopf zu streicheln, als er plötzlich vernahm, wie sich ein großes Tier aus dem krachenden Geäst näherte: Die Bärenmutter stürzte auf ihn zu.
Völlig überrascht von der unvermuteten Wiederkehr von Misstrauen und Aggressivität sprang Adam zum nächsten Baum und fing panisch an hinaufzuklettern. Knurrend und in wildem Aufruhr folgte ihm die Bärin. Adam spürte schon ihre Krallen an den Fußsohlen. Haut und Herz schmerzten ihn. Mit einem Satz war Kain da, um ihn zu verteidigen, indem er die Bärin von der Flanke angriff. Er war ein kräftiger Hund, kurze Schnauze, harter, runder Kopf. Von der Unterbrechung belästigt, versetzte ihm die Bärin einen Hieb mit der Pranke, und Kain landete in den Büschen. Doch er war sofort zurück und griff erneut an. Die Bärin hielt inne. Adam schrie vom Baum herunter, Vorsicht, Kain, lass das, Kain. Doch der Hund traktierte die Beine und Tatzen der Bärin mit Bissen, außerstande, seinen Instinkt zu zügeln und sich zurückzuziehen. Da warf sich das große Tier wutentbrannt auf den Hund. Als Letztes sah Adam Kains Hals zwischen den Tatzen der Bärin, während diese ihn von einer Seite zur anderen warf. Das Knurren des Hundes wurde zu einem durchdringenden Schmerzensgeheul, einem langen, traurigen, herzzerreißenden Jaulen, ehe der Bär den leblosen Körper des Hundes zu seinen Füßen fallen ließ und seine Blicke wieder dem Baum zuwandte, wo Adam hockte.
Der Mann wusste nicht, wie er die Bärin getötet hatte. Er erinnerte sich nur noch an den Geruch des Tieres, an ihre Klauen mit Kains frischem Blut, an ihre ungeheure Kraft und auch an die schier grenzenlose Macht seiner eigenen Wut, an den Stein, mit dem er ihr das Gesicht zertrümmerte, die Augen und die Schnauze.
Er blutete. Er war zerschunden, zerbissen, aber am Leben. Kein bleibender Schaden. Kain dagegen lag reglos am Boden, die offenen Augen leer, ohne den treuen, wachen Blick. Adam kam wieder zu sich. Er konnte selbst nicht verstehen, zu was für einer Bestie er geworden war. Eine Bestie, die in der Lage war, eine Bärin mit bloßen Händen zu töten. Sein Körper wurde von einem Schütteln erfasst, als zerrte der Wind an ihm. Er kniete nieder. Er berührte die Stirn und die Ohren des Hundes. Der war kalt und kraftlos, sein Kopf hing schlapp auf dem Rumpf. Er hob ihn auf und schlang die Arme um ihn. Er hatte schon oftmals die sterblichen Überreste von Tieren gesehen, die von Tigern und Löwen liegengelassen wurden. Doch hatte er immer nur ans Essen gedacht. Nie hatte er überlegt, wie sie wohl gestorben waren, und auch nicht, wie ihr Leben gewesen sein mochte. Bei seinem toten Hund ging ihm das durch den Sinn. Der Tod war derselbe, aber sein Hund war ein anderer. Das Tier hatte ihn gekannt. Es hatte erraten, was er dachte. Es hatte ihn beschützt. Es hatte ihm die Hände geleckt, sich an ihn geschmiegt und ihn nachts gewärmt. Kain war anders.
Er setzte sich neben den Hund auf die Erde. Er erinnerte sich daran, wie sie gespielt hatten. Adam weinte. Er schlug die Hände vors Gesicht und ließ seinem Kummer freien Lauf.
Er begrub Kain. Er zog der Bärin das Fell ab, ging zum Fluss und wusch sich das Blut ab. Dann kehrte er zur Höhle zurück.
»Ich weiß, wie wir den Jungen nennen«, verkündete er. »Wir nennen ihn Kain.«
Ihr gefiel nicht, was sie im Gesicht des Mannes sah. Sie hatte den Hund auch gemocht. Sie weinte. Ja, sie würde ihn vermissen, aber ihr gefiel der Klang des Namens Kain nicht, als Adam ihn für den Sohn vorschlug.
»Ich glaube, wir
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