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Unendlichkeit in ihrer Hand

Unendlichkeit in ihrer Hand

Titel: Unendlichkeit in ihrer Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gioconda Belli
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Anstrengung, schrie aus Leibeskräften – und so geschah es, dass die erste Frau ihre Kinder ausstieß, damit sie auf der Erde lebten.
     

    Audio: Die Geburt (03:29)

Kapitel 19
    E in riesiger gelber Mond schwebte über der Nacht. Adam durchtrennte die Nabelschnüre von Tochter und Sohn. Einen Mutterkuchen trugen der Adler und der Falke davon, den anderen fraßen das Tigerjunge und die Ziege.
    Der Geruch von Blut hing in der Luft. Schon war ein leises Knurren zu hören, und die schwächsten Tiere machten sich blitzschnell davon. Als Letzte trollten sich die größten Räuber, verschlagen und leicht benommen, wie aus einem Traum erwachend und ohne recht zu wissen, wo sie waren. Nur Hund und Katze und die kopfüber an der Decke hängenden Fledermäuse blieben in der Höhle.
    Adam und Eva weinten, als sie die Tiere davongehen sahen. Sie weinten noch eine ganze Weile, lautlos, als würden all ihre gestauten Empfindungen plötzlich überlaufen. Dieses seltsame, wundersame Ereignis würde nie mehr aus ihrer Erinnerung zu löschen sein.
     
    Schließlich kehrten sie in die Wirklichkeit zurück, und Adam beobachtete, wie Eva ab und zu die Augen aufschlug, um dann immer wieder einzuschlafen. Sie konnte sich nicht entschließen, sich vollständig der Entspannung hinzugeben. Dafür war der Wunsch, die winzigen nackten Körper zu betrachten, die Adam neben sie gelegt hatte, viel zu groß.
    Auch er schaute sie an, merkte aber, dass er mit seiner Aufmerksamkeit noch nicht ganz da war. Er dachte an die Tiere. Meine Tiere, wiederholte er innerlich. Meine Tiere sind zurückgekommen. Wie einsam ich doch ohne sie geworden bin! Obwohl sie mir gehören, sind sie zu ihr gekommen, wegen dieser großen Schmerzen, die mich ausschließen.
    Die winzigen Wesen bewegten Hände und Füße. Von Zeit zu Zeit zuckten sie zusammen, als hätten sie Alpträume. Sie öffneten die Augen nur einen Spaltbreit, dann schlossen sie sie wieder. Adam streckte sich neben das Fell, auf dem die Kleinen lagen, auf den Felsen aus. Endlich fiel Eva in Tiefschlaf. Er umschloss ihre Zehen mit den seinen und schlief ebenfalls.
     
    Eva erwachte häufig in dieser Nacht. Sie weinte nicht mehr. Ihr Körper schmerzte noch, aber der Schmerz war jetzt erträglich, gebändigt. Wie laut ich geschrien habe, dachte sie. All das, wofür mir die Worte fehlen, habe ich in die Luft geschleudert. Es tat ihr leid, dass sie vor lauter Wut auf den Schmerz, den Elohim ihr auferlegte, den Zwillingen den Ausgang versperrt hatte. Erst beim Einzug der Tiere hatte sich ihr Groll gelegt, als hätten sie ihr das Herz reingewaschen.
     
    Als Adam am nächsten Morgen die Augen aufschlug, lächelte sie ihn an. Mann und Frau betrachteten ihren Sohn und ihre Tochter.
     
    »Sie sind anders als wir«, sagte Adam. »Ich glaube, sie können nicht gehen.«
    »Vielleicht erst in ein paar Tagen«, erwiderte Eva. »Das Fohlen ist schließlich auch gegangen.«
    »Und was essen sie?«
    Eva sah den Kleinen ins Gesicht. Sie näherte sich. Sie schaute in ihre Münder.
    »Sie haben keine Zähne, Adam!«
    »Das Fohlen und das Lamm essen an den Zitzen ihrer Mütter. Hast du nicht gesagt, dass aus deinen Brustwarzen etwas Süßes kommt?«
     
    Eva berührte ihre Brüste. Sie schmerzten, waren groß und geschwollen. Sie legte sich wieder hin und schloss die Augen. Was erwartete Adam denn von ihr – dass ihr Körper nicht nur die Kinder machte, sondern sie auch noch ernährte? Sie war so müde. Ihre Zeit war schon da gewesen und vorüber. Jetzt war ihr danach, ein paar Tage zu schlafen, um wieder zu Kräften zu kommen und zu spüren, dass ihr Körper allmählich wieder ihr gehörte. Die Kleinen begannen zu weinen. Das Schreien ging Eva so unter die Haut, als litte sie selbst. Sie blieb reglos liegen, mit geschlossenen Augen. Es klang traurig, schutzlos.
    »Sie haben Hunger, Eva«, sagte Adam. »Gib ihnen zu essen von dem, was aus deiner Brust kommt.«
    »Warum übernimmst du das nicht, Adam? Du hast auch Brustwarzen.«
    Adam warf ihr einen unschlüssigen Blick zu. Er nahm einen der Zwillinge auf den Arm. Eva sah den Kleinen an der Brust des Vaters suchen. Sie stand auf. Sie hatte Schmerzen beim Gehen, aber sie verließ die Höhle, um das Schreien nicht zu hören. Adam rief sie. Eva, Eva, wo gehst du hin?, aber sie antwortete nicht und drehte sich auch nicht nach ihm um. Sie wollte nur schlafen, ausruhen. Unter dem Feigenbaum ließ sie sich in den Schatten sinken und lehnte den Rücken an den Stamm. Dort war das

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