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Unendlichkeit in ihrer Hand

Unendlichkeit in ihrer Hand

Titel: Unendlichkeit in ihrer Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gioconda Belli
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sollten dem Jungen einen anderen Namen geben.«
    »Nein. Es ist ein guter Name.«
    »Aber er wird dich immer traurig stimmen.«
    »Das werde ich überwinden.«
    »Du hast die Bärin getötet«, sagte Eva. »Du hast das Fell mitgebracht. Das macht mir Angst. So ein großes Tier. Ich wusste nicht, dass das geht.«
    »Ich auch nicht. Und ich kann mir nicht erklären, wie ich es gemacht habe. Ich wäre zu allem fähig gewesen.«
    »Du bist wütend geworden und hast sie bestraft.«
    »Ja.«
    »Elohim hat uns genauso zum Tode verurteilt.«
     
    Der Tod. Sein Hund ohne Leben. Die Schnauze trocken, die Augen trüb. Der Kopf schlapp. Als er ihn in die Erde gelegt hatte, war er schon kalt und steif gewesen. Vom einen Augenblick zum anderen war alles weg, was Kain gewesen war. Was von dem Hund übrig blieb, lebte jetzt nur noch in ihm weiter, in ihr und in den Zeichnungen an den Höhlenwänden. Sie waren Staub und würden wieder zu Staub werden. Ob wohl andere eines Tages erfahren würden, in welcher Gegend der Erde Eva, er und die Kinder, die gerade geboren waren, gelebt hatten? Wer würde sich an sie erinnern? Wie würde man sich an sie erinnern? Er musste an seinen Traum denken mit den Bäumen und den menschlichen Köpfen, die gefällt zu Boden fielen. Es würde nichts nützen, dass immer mehr Männer und Frauen auf die Welt kamen. Sie würden alle sterben. Einer nach dem anderen. Die Schnauze trocken, die Augen trüb. Kalt. Steif. Wie Kain. Und trotzdem würden sie jeden Tag Hunger verspüren und den Drang, zu überleben. Er staunte, wie gierig die Kinder an Evas Brust saugten. Dieser Wunsch nach Leben, in jedem Tier, in jeder Pflanze, als hätte der Tod keine Bedeutung, als wäre er nicht wahr.
    Seine Wut wurde zur Hitze und nistete sich in seinen Lenden ein. Evas Haut war so hell wie die Milch, die aus ihren Brüsten floss. In der dunklen Höhle lag sie mit ihren Kindern auf dem schwarzen Plüsch der Bärin, und ihr Körper strahlte im goldenen und orangefarbigen Schein des Feuers und lockte ihn mit seiner neuen Rundlichkeit. Sie wies sein Drängen zurück, bis sie nicht mehr fürchten musste, dass es innen weh tun würde. Dann feierte sie mit ihm die Erneuerung ihrer Taille, die sie vom Meer zurückerobert hatte. Wenn sie einander nachts beiwohnten, dann dachte Adam häufig daran, mit welcher Härte er die Bärin vernichtet hatte, und er fürchtete sich vor seinen Händen auf den zarten Knochen der Frau. Zusätzlich zu ihren Konturen festigte die Mutterschaft in Eva auch das Bewusstsein einer Macht, die über ihre reine Körperkraft hinausging. Sie wusste, dass Adam das wahrnahm und aus diesem Grunde nie müde wurde, in ihr das Leben zu suchen und Zuflucht zu nehmen in ihrer dunklen, feuchten Wohnung.
     
    So kam es, dass nur eine kurze Weile nach der Geburt der Zwillinge verstrich, ehe Eva ihm ankündigte, erneut Geschöpfe zu beherbergen. Die Flut des anderen Meeres brandete schon in ihr an. Sie musste an die Worte der Schlange denken, dass sich die Erfahrung wiederholen würde. Es war zwar nicht ihr Wunsch gewesen, aber der Körper hatte wohl seine Gründe dafür, dachte sie. Im Unterschied zum ersten Mal hatte sie keine Angst. Die Schmerzen waren schnell vergessen. Es überwog das Staunen, anderen Geschöpfen dabei zuzusehen, wie sie aus ihrer Hilflosigkeit heraus sie selbst wurden, und das Rätsel, dass sie ganz und gar unvorhersehbar waren und dennoch ein Teil von ihr. Ihr Weinen, ihr Hunger, ihr Frieren waren ihre eigenen. Aber sie hatte trotzdem nichts Eigenes verloren. Wenn sie dalag und die Zwillinge säugte, empfand sie häufig einen tiefen Frieden. Der Himmel, der Fluss, die Natur, die vor ihren Augen wurde und verging, die Nacht und ihre unzähligen Lichter, das auf geheimnisvolle Weise eingeschlossene Meer, die Sonne, der Mond, die Bäume, die Tiere, all das barg ein Glück, so zerbrechlich und bedroht, dass man davon nie satt werden konnte. Aber wenn sie sah, wie ihre Kinder auf ihren Trost und ihre Liebkosungen reagierten und sie mit diesem freudigen Aufruhr in den Augen und den Händchen erkannten, dann fiel es ihr zunehmend schwer, sich für das Opfer einer willkürlichen und unangemessenen Bestrafung zu halten.

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    II
    Wachset und mehret euch
       

Kapitel 21
    A dam betrachtete die Kerben in den Baumstämmen. Es waren schon viele. Bei fast allen Bäumen auf dem Weg von der Höhle zum Fluss war die Rinde zerfurcht. Er konnte nicht zählen, aber der Anblick der gezeichneten Bäume genügte

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