Unendlichkeit in ihrer Hand
Nächte lang in eine Welt aus Gestammel eintauchen, in der Worte nichts nutzten und ihr Instinkt der einzig verlässliche Anhaltspunkt war. Adam litt mehr als sie unter der Veränderung seines Tagesablaufs, dennoch verzichtete er auf lange Wanderungen und Jagdausflüge, weil ihn die Furcht, dass sie irgendein Missgeschick erleiden könnten, nach kurzer Zeit zurückeilen ließ. Er kam zu dem Schluss, dass es besser war, gemeinsam zu hungern, als das Risiko einzugehen, durch die Unwägbarkeiten dieser Welt getrennt zu werden.
Ihr fiel es schwer, sich daran zu gewöhnen, dass ihr Körper für vier Augenpaare zur Nahrungsquelle wurde, die stets von ihr verlangten, sich hinzulegen und sie an die Brust zu nehmen. Beschämt über ihre eigenen Gefühle, gestand sie Adam nie, dass sie oft am liebsten hinausgerannt wäre. Seit er den Geburten beigewohnt hatte und wusste, dass sie nicht nur imstande war, Geschöpfe zu formen, sondern sie auch zu ernähren, war sie für ihn sowieso ein Wunderwerk. Elohim, so fand Adam, hatte ihr so viel Macht verliehen, dass er sie Blut und Schmerzen unterwarf, damit sie ihn nicht herausforderte.
Eva widersprach ihm nicht. Sie bewunderte Adams sanfte Sturheit, die Hingabe an seine vielfältigen Aufgaben, die er sich stellte und die ihm ständig die Befriedigung gaben, seine Umgebung zu beherrschen und zu verstehen. Dennoch gebärdete er sich eigenwillig und ging beharrlich seinen Weg, ohne zu bemerken, wie sich dies im Laufe der Zeit auswirken würde. Er tat sich schwer mit der Geduld und damit, den natürlichen Lauf der Dinge zu beobachten und zuzulassen, dass sie sich ihren Neigungen und ihrer innewohnenden Weisheit entsprechend ordneten. Er hatte es immer eilig. Daher, und obwohl er den Zyklus der Früchte der Erde verstand, bevorzugte er die Jagd, das Unmittelbare, das, was ihm das schnellste Ergebnis für seine Bemühungen brachte.
Eva dagegen nahm alles wahr, was um sie herum geschah, als hätte sie die Möglichkeit, mit mehr Augen als nur ihren eigenen zu sehen. Es bereitete ihr keinerlei Mühe, die Gedanken der anderen in sich selbst zu hören. In der Zeit, als die Zwillinge heranwuchsen, und bis zu ihrer Pubertät schienen ihr Ohren auf der Haut gewachsen zu sein, und ihre Augen entwickelten förmlich einen Tastsinn, um sämtliche Körperempfindungen der Kinder in ihrer ganzen Intensität wahrzunehmen. Sie las mit einer Geschicklichkeit in ihren Gemütern und ihren Gesten, die sie selbst oft erstaunte. Aus sich selbst herauszuwachsen, sich zu vervielfältigen hatte ihr auf rätselhafte Weise Zugang verschafft zur geheimen Sprache des Lebens. Sie erahnte sogar die Stimmungen von Pflanzen, Bäumen und des Himmels. Aber dennoch vermochte sie nicht zu sagen, ob ihre Kinder wie sie das Wissen von Gut und Böse besaßen; ob sie ihre Unschuld verlieren würden, ohne eine verbotene Frucht zu essen; oder ob sie, so unschuldig, wie sie waren, lernen würden, in einer Welt voller unbeantworteter Fragen zu bestehen, in der es zum Essen und Überleben nötig war, zu töten.
In der Welt, die sie sich eingerichtet hatten, waren Abel und Adam unzertrennlich. Ebenso Kain und Luluwa. Und mit der kleinen Aklia brachte Eva die meiste Zeit zu. Als Aklia auf die Welt gekommen war, hatte Adam bei ihrem Anblick geweint. Die Geburt war schnell und ohne besondere Ereignisse oder Wunder vonstattengegangen. Adam und sie waren allein gewesen und hatten auf das vertraut, was sie bereits wussten. Eva war es das zweite Mal weniger schmerzhaft vorgekommen. Womöglich, weil sie schon Bescheid wusste und sich darauf eingestellt hatte, zu leiden.
Abel war als Erster erschienen. Er war dunkler als Kain und größer. Mit lautem Geschrei, die Augen sperrangelweit offen, kam er auf die Welt. Nach einer langen Pause kam noch eine Wehe. Eva presste Aklia heraus, ein winziges Geschöpf mit fest zugekniffenen Augen, das Gesichtchen von einem dunklen Flaum bedeckt, die Stirn gewölbt und die Lippen zu groß. Adam schnitt beide Nabelschnüre durch. Sie hüllten die Geschöpfe in weiche Fuchsschwänze. Dann war Adam mit Aklia durch die Höhle spaziert. Er hatte sie zum Feuer gebracht. Dort sah er sie an und sagte, sie sehe aus wie ein Äffchen, nicht wie ein Mensch. Kurz nach ihrer Geburt hatte Aklia den Gesichtsflaum abgeworfen, doch das kleine Gesicht mit den mittig zusammengedrängten Zügen hatte sie behalten; ebenso die dichten Brauen, den auffällig breiten Mund und das glatte, dünne Haar, schwarz wie nasses
Weitere Kostenlose Bücher