Unendlichkeit
Befehle in ihr Armband. Erst nach aufreibenden Sekunden hatte sie die richtige Unterpersönlichkeit aktiviert, weitere Sekunden verstrichen, während sie die Sicherheitsvorkehrungen umging, die Unbefugte daran hindern sollten, die Shuttles fernzusteuern. Dann mussten die Triebwerke eines Shuttles aufgewärmt und das Fahrzeug aus den Andockhalterungen gelöst und aus der Parkbucht hinaus ins All dirigiert werden. Das verdammte Ding flog sich – wie Volyova sich ausdrückte – als sei es noch nicht richtig wach. Das Lichtschiff stand unter Schub, das machte das Manöver besonders heikel.
»Ich frage mich«, sagte Khouri, »was das Geschütz eigentlich vorhat, wenn es erst draußen ist. Gibt es irgendetwas in seiner Reichweite?«
»Resurgam wäre denkbar.« Volyova blickte von ihrem Armband auf. »Aber vielleicht bekommt es ja gar keine Chance mehr.«
Diesen Augenblick wählte die Mademoiselle, um zu manifestieren. Irgendwie gelang es ihr, sich in den Fahrstuhl zu drängen, ohne Khouri und dem Triumvir den Platz streitig zu machen. »Sie irrt sich. Es wird nicht funktionieren. Ich habe nicht nur das Geschütz unter meiner Kontrolle.«
»Sie geben es also zu?«
»Wozu sollte ich es abstreiten?« Die Mademoiselle lächelte stolz. »Sie erinnern sich, dass ich einen Avatar von mir in den Feuerleitstand heruntergeladen hatte? Nun, dieser Avatar kontrolliert jetzt den Geschützstand. Nichts, was ich tue, kann ihn oder vielmehr sie beeinflussen. Sie ist für mich ebenso unerreichbar wie ich für mein ursprüngliches Ich auf Yellowstone.«
Der Fahrstuhl wurde langsamer. Volyova war ganz in die komplexen kleinen Anzeigen vertieft, die über ihr Armband huschten. Auf einer Schemazeichnung war das Shuttle zu sehen. Es glitt am Rumpf des Lichtschiffes entlang wie ein winziger Schildfisch an der glatten Flanke eines sich sonnenden Haies.
»Aber Sie haben ihr die Befehle gegeben«, sagte Khouri. »Sie wissen verdammt genau, was sie vorhat, oder etwa nicht?«
»Oh, die Befehle waren ganz einfach. Wenn sie eine Möglichkeit fände, über den Leitstand auf Systeme zuzugreifen, mit denen sich der Abschluss der Mission beschleunigen ließe, sollte sie nichts unversucht lassen, um dieses Ziel zu erreichen.«
Khouri schüttelte entsetzt und ungläubig den Kopf.
»Ich dachte, ich sollte Sylveste töten.«
»Vielleicht lässt sich das mit dieser Waffe schneller erledigen, als ich dachte.«
»Nein«, sagte Khouri, nachdem sie die Bemerkung der Mademoiselle in ihrer vollen Tragweite erfasst hatte. »Sie würden nicht einen ganzen Planeten auslöschen, nur um einen Menschen zu töten.«
»Wir haben doch nicht plötzlich unser Gewissen entdeckt?« Die Mademoiselle schüttelte den Kopf und kräuselte spöttisch die Lippen. »Sie hatten Sylvestes wegen keinerlei Skrupel. Warum sollte Sie dann der Tod der anderen so sehr belasten? Oder ist es einfach eine Frage der Größenordnung?«
»Es ist einfach…« Khouri zögerte, denn sie wusste, dass ihr Einwand die Mademoiselle nicht beeindrucken würde. »Unmenschlich. Aber ich erwarte nicht, dass Sie das verstehen.«
Der Fahrstuhl hielt an, die Tür ging auf. Vor ihnen lag, halb überflutet, der Zugang zum Feuerleitstand. Khouri musste sich erst orientieren. Seit sie den Fahrstuhl bestiegen hatten, litt sie unter mörderischen Kopfschmerzen. Jetzt ließen sie allmählich nach, aber sie wollte lieber nicht darüber nachdenken, wodurch sie ausgelöst worden waren.
»Rasch«, sagte Volyova und eilte hinaus.
»Sie können nicht begreifen«, sagte die Mademoiselle, »warum ich es auf mich nehmen würde, eine ganze Kolonie zu zerstören, um den Tod eines einzigen Mannes sicherzustellen.«
Khouri folgte Volyova. Das Wasser reichte ihr bis an die Knie.
»Ganz recht, das begreife ich nicht. Aber ich würde in jedem Fall versuchen, Sie daran zu hindern, auch wenn mir die Gründe bekannt wären.«
»Nicht, wenn Sie alles wüssten, Khouri. Dann würden Sie mich sogar noch anfeuern.«
»Dann ist es Ihre eigene Schuld, wenn Sie mich nicht aufklären.«
Sie zwängten sich durch abgedichtete Schotts. Jedes Mal, wenn sich der Wasserspiegel egalisierte, wurden tote Pförtnerratten aus den Ritzen geschwemmt, in die sie sich zum Sterben verkrochen hatten, und trieben vorbei.
»Wo ist das Shuttle?«, rief Khouri.
»Es parkt drüben am Außenschott«, sagte Volyova. Dann drehte sie sich um und sah Khouri fest an. »Das Geschütz ist noch nicht aufgetaucht.«
»Heißt das, wir haben
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