Unendlichkeit
hinausgelangt war, hatte das Shuttle am Rumpf einen schwarzen Strich hinterlassen. Hier gab es Beschädigungen; Khouri spürte sie wie Nadelstiche, und sie spürte auch, wie sie betäubt wurden, als sich die Autoreparatursysteme zuschalteten. Schwerkraftsensoren erfassten die Wellen, die von der Waffe ausgingen; periodische Luftströmungen strichen – mit wachsender Beschleunigung – über Khouri hinweg. Die schwarzen Löcher im Innern der Waffe kamen wohl in Fahrt und kreisten immer schneller um den Torus.
Dann wurde sie, nicht von außen, sondern von innerhalb des Leitstandes entdeckt.
»Sonnendieb hat Ihren Eintritt in den Datenraum registriert«, konstatierte die Mademoiselle.
»Kein Problem.« Khouri schob virtuelle Hände in cybernetisch realisierte Manipulatoren und streckte sie in den Waffenraum. »Ich greife jetzt auf die Verteidigungsanlagen zu. Ein paar Sekunden genügen mir.«
Doch irgendetwas stimmte nicht. Die Waffen fühlten sich anders an als bei den Simulationen; sie widersetzten sich ihren Wünschen. Khouri begriff schnell: sie waren umkämpft, und sie selbst hatte soeben in den Kampf eingegriffen.
Die Mademoiselle – oder vielmehr ihr Avatar – versuchte, die Verteidigungswaffen am Rumpf zu blockieren, um zu verhindern, dass sie gegen das Weltraumgeschütz gerichtet wurden. Das Geschütz selbst war von zahlreichen Firewalls abgeschirmt und für Khouri unerreichbar. Aber wer – oder was – widersetzte sich der Mademoiselle und bemühte sich, die Waffen zum Einsatz zu bringen? Sonnendieb natürlich. Jetzt spürte sie seine Gegenwart. Groß und mächtig, aber dennoch darauf bedacht, unsichtbar aus dem Hinterhalt zu operieren, tarnte er sich geschickt hinter routinemäßigen Datenbewegungen. Jahrelang hatte das funktioniert, ohne dass Volyova etwas von seiner Existenz ahnte. Doch jetzt wurde Sonnendieb aus der Reserve gelockt und hastete von einem Versteck zum anderen wie eine Krabbe vor der anrollenden Flut. Khouri spürte nichts Menschliches; keinen Hinweis darauf, dass diese dritte Präsenz im Leitstand ganz einfach eine heruntergeladene Persönlichkeitssimulation sein könnte; Sonnendieb fühlte sich an wie reiner Geist, als wäre er nie etwas anderes gewesen als eine Datensimulation und könnte auch nie etwas anderes sein.
Er fühlte sich an wie das absolute Nichts – aber ein Nichts, das einen erschreckend hohen Organisationsgrad erreicht hatte.
Konnte sie wirklich ernsthaft daran denken, sich mit einem solchen Wesen zu verbünden?
Vielleicht. Wenn sich auf diese Weise die Mademoiselle stoppen ließe.
»Noch können sie zurück«, sagte die Frau. »Er ist im Moment beschäftigt – hat nicht genügend freie Energie, um in Sie einzudringen. Aber das wird sich gleich ändern.«
Jetzt hatte Khouri zumindest die Zielsuchsysteme unter Kontrolle, obwohl sie nur träge reagierten. Sie erfasste das Weltraumgeschütz, umgab es in seiner Gesamtheit mit einer Sphäre potenzieller Vernichtung. Jetzt brauchte die Mademoiselle nur noch für eine Mikrosekunde die Kontrolle über die Waffen abzugeben, das würde genügen, um zu zielen, zu feuern, zu vernichten.
Sie spürte, wie der Widerstand nachließ. Sie – oder vielmehr sie und Sonnendieb – sollten offenbar Sieger bleiben.
»Tun Sie es nicht, Khouri. Sie wissen nicht, was auf dem Spiel steht…«
»Dann klären Sie mich auf, verdammt. Was ist so wichtig? Sagen Sie es mir!«
Das Weltraumgeschütz entfernte sich weiter, ein sicheres Zeichen dafür, dass die Mademoiselle um seine Sicherheit fürchtete. Aber die Gravitationsstrahlung verstärkte sich, die Wellen kamen jetzt so schnell, dass sie kaum noch auseinander zu halten waren. Niemand wusste, wie lange es noch dauerte, bis das Geschütz feuerte, aber Khouri vermutete, dass es sich nur noch um Sekunden handeln konnte.
»Hören Sie, Khouri!«, sagte die Mademoiselle. »Sie wollen die Wahrheit wissen?«
»Ja, verdammt noch mal!«
»Dann machen Sie sich auf etwas gefasst. Gleich kommt die geballte Ladung.«
Und dann – kaum dass sie sich an die Umgebung des Waffenraums gewöhnt hatte – wurde sie in eine ganz andere Realität gerissen. Seltsam war, dass es sich dabei um einen Teil ihrer selbst handelte, den sie bis zu diesem Augenblick vollkommen übersehen hatte.
Sie waren auf einem Schlachtfeld, auf dem Gelände eines Nothospitals oder eines vorgeschobenen Kommandopostens, umgeben von aufblasbaren Chamäleo-Zelten und provisorischen Umzäunungen. Über dem Lager spannte sich
Weitere Kostenlose Bücher