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Unendlichkeit

Unendlichkeit

Titel: Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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waren im ersten Raum zurückgeblieben und man hatte dort eben erst die Bettwäsche gewechselt. Aber Falkender hatte angedeutet, die Ankunft der von ihm erwähnten Besucher könnte sich auch auf Sylvestes Status auswirken. Vielleicht hatte man die Pläne kurzfristig geändert.
    Wie er bald feststellte, waren die Pläne gleich geblieben.
    Der Raum, in dem man ihn zurückließ, war nicht weniger spartanisch als seine Zelle, im Grunde ein Duplikat: Die gleichen leeren Wände, die gleiche Essensklappe, das gleiche beklemmende Gefühl, die Mauern seien unendlich dick und reichten unendlich tief in die Mesa hinein. Die Ähnlichkeit war so groß, dass er im ersten Moment zweifelte, ob ihn seine Sinne nicht getrogen hätten. Vielleicht hatten ihn die Wachen nur im Kreis herumgeführt und schließlich in sein Gefängnis zurückgebracht. Zuzutrauen war es ihnen durchaus… und wenigstens hätte es ihm Bewegung verschafft.
    Doch als er sich eingehend umgesehen hatte, wusste er, dass dies nicht seine Zelle sein konnte. Pascale saß auf ihrem Bett – und als sie aufblickte, sah Sylveste, dass sie ebenso erstaunt war wie er.
    »Sie haben eine Stunde Zeit«, sagte der Wärter mit dem Schnurrbart und klopfte seinem Partner auf die Schulter.
    Dann schloss er die Tür. Sylveste war bereits ohne Aufforderung eingetreten.
    Das letzte Mal hatte er sie im Hochzeitskleid gesehen; mit welligem, leuchtend rot gefärbtem Haar; von entoptischen Figuren umschwebt wie von einer Feenschar. Aber vielleicht hatte er das auch nur geträumt. Jetzt trug sie genau wie Sylveste einen graubraunen, ausgebeulten Overall. Das Haar war schwarz und hing ihr in Strähnen um das Gesicht, die Augen waren rot vor Müdigkeit oder von Schlägen, vielleicht auch beides. Sie wirkte kleiner und magerer, als er sie in Erinnerung hatte – vielleicht, weil sie vornüber gebeugt dasaß, die nackten Füße unter sich gezogen, und weil der weiße Raum so groß wirkte.
    Sie erschien ihm schöner und zerbrechlicher als je zuvor; und nie war es ihm schwerer gefallen, sie als seine Frau zu betrachten. Er dachte zurück an die Nacht des Umsturzes, als sie geduldig in der Ausgrabungsstätte ausgeharrt und ihn mit ihren Fragen gelöchert hatte; Fragen, die später eine Wunde in sein Innerstes reißen sollten; Fragen, was er getan hatte und wozu er fähig war. Es war schon seltsam, wie der Strom der Ereignisse sie in der schrecklichen Einsamkeit dieser Zelle wieder zusammengeführt hatte.
    »Man hat mir immer wieder versichert, du seiest am Leben«, sagte er. »Aber ich konnte es nie so recht glauben.«
    »Mir sagte man, du seiest verletzt«, sagte Pascale. Sie sprach leise, als fürchte sie, mit lauten Worten den Traum zu zerstören. »Was passiert war, wollte man mir nicht verraten – und ich wagte nicht weiter zu fragen, aus Angst, die Wahrheit zu hören.«
    »Ich wurde geblendet«, sagte Sylveste und berührte – zum ersten Mal seit der Operation – die harte Oberfläche seiner Augen. Die kleine Schmerz-Nova, an die er sich gewöhnt hatte, blieb aus, er spürte nur ein leises Unbehagen, eine Trübung, die sofort verschwand, als er die Finger wegnahm.
    »Aber jetzt kannst du wieder sehen?«
    »Ja. Und du bist eigentlich das Erste, wofür sich das auch lohnt.«
    Sie stand vom Bett auf, schmiegte sich in seine Arme und legte ein Bein um das seine. Sie war so leicht und zart; er wagte kaum, die Umarmung zu erwidern, aus Angst, sie zu zerdrücken. Doch als er sie fester an sich zog, verstärkte auch sie den Druck, schien aber ihrerseits Angst zu haben, ihn zu verletzen. Wie zwei Geister, von denen jeder fürchtete, der andere sei nicht wirklich, hielten sie sich umschlungen. Die eine geschenkte Stunde kam ihnen vor wie eine Ewigkeit; nicht weil die Zeit sich hingeschleppt hätte, sondern weil sie in diesem Moment keine Rolle spielte. Sie stand sozusagen still, und es schien nur einer Willensanstrengung zu bedürfen, um sie auch weiter anzuhalten. Sylveste labte sich an Pascales Anblick wie ein Verdurstender; sie fand selbst in seinen starren Augen noch Menschlichkeit. Früher hatte sie nicht den Mut gefunden, ihn offen anzusehen, geschweige denn, ihm tief in die Augen zu schauen – aber das war lange her. Und Sylveste war es nie schwer gefallen, Pascale in die Augen zu blicken, denn sie brauchte nichts davon zu merken. Jetzt freilich wünschte er, sie würde spüren, wenn er sie anstarrte, damit er ihr auf diesem Umweg die beglückende Botschaft vermitteln könnte, wie

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