Unendlichkeit
betörend er sie fand.
Bald küssten sie sich voller Leidenschaft und fielen eng umschlungen auf das Bett. Im nächsten Moment hatten sie die graubraunen Mantell-Overalls abgestreift und auf den Boden geworfen. Sylveste fragte sich, ob sie beobachtet wurden. Möglich – sogar wahrscheinlich, dachte er. Aber er beschloss, sich nichts daraus zu machen. Für den Augenblick – bis zum Ende dieser Stunde – waren er und Pascale vollkommen allein; die Mauern waren wirklich unendlich dick; es gab im ganzen Universum nur diesen einen Raum. Sie liebten sich nicht zum ersten Mal, obwohl sie früher nur selten Gelegenheit dazu gehabt hatten; sie waren kaum jemals ungestört gewesen. Jetzt – die Vorstellung war fast lächerlich – waren sie Mann und Frau und hatten noch weniger Grund, sich zu verstecken. Und wieder mussten sie sich jeden intimen Augenblick stehlen. Er fühlte sich plötzlich schuldig und suchte lange nach einer Erklärung dafür. Erst als sie schließlich beieinander lagen und er den Kopf an ihrer weichen Brust vergrub, wurde ihm klar, warum er so empfand. Es gab so viel zu besprechen, und sie hatten die kostbare Zeit damit vergeudet, dem fieberhaften Verlangen ihrer Körper nachzugeben. Aber Sylveste erkannte auch, dass das so sein musste.
»Wenn es nur länger wäre«, sagte er, als sich sein Zeitgefühl wieder halbwegs normalisiert hatte und er sich fragte, wie viel von der Stunde wohl noch übrig war.
»Beim letzten Mal«, sagte Pascale, »hast du mir etwas erzählt.«
»Über Carine Lefevre, ja. Ich musste es dir sagen, verstehst du das? Es hört sich komisch an, aber ich dachte, ich müsste sterben. Deshalb musste ich dir, musste ich irgendjemandem sagen, was ich seit Jahren in meinem Inneren verschlossen hatte.«
Er spürte Pascales kühlen Schenkel auf dem seinen. Sie strich ihm mit der Hand über die Brust wie um sie sich einzuprägen. »Was da draußen geschehen ist, kann niemand beurteilen, auch ich nicht.«
»Ich war feige.«
»Nein. Es war nur dein Instinkt. Vergiss nicht, Dan, du warst am schrecklichsten Ort des ganzen Universums. Philip Lascaille ist ohne Schieber-Transform dorthin geflogen – und du weißt, was aus ihm geworden ist. Du hast genug Tapferkeit bewiesen, indem du bei Verstand geblieben bist. Die Flucht in den Wahnsinn wäre leichter gewesen.«
»Sie hätte überleben können. Verdammt, wenn ich sie nur da draußen allein zurückgelassen hätte – selbst das wäre vertretbar gewesen, wenn ich hinterher den Mut gefunden hätte, die Wahrheit zu sagen. Das wäre eine Art von Sühne gewesen. Aber dass ich noch Lügen über sie erzählte, nachdem ich sie getötet hatte, das hatte sie weiß Gott nicht verdient.«
»Nicht du hast sie getötet, sondern der Schleier.«
»Nicht einmal das weiß ich mit Sicherheit.«
»Wie?«
Er legte sich auf die Seite und sah sie an. Früher hätten seine Augen ihr Bild für die Nachwelt speichern können. Doch diese Funktion existierte nicht mehr.
»Ich meine«, sagte Sylveste, »ich weiß nicht einmal, ob sie da draußen tatsächlich gestorben ist – es müsste nicht unbedingt sofort gewesen sein. Ich habe schließlich überlebt – und ich war derjenige, dessen Schieber-Transform zerfiel. Sie hätte bessere Chancen gehabt, wenn auch nicht wesentlich. Aber wenn sie nun durchgekommen wäre, so wie ich? Wenn sie es irgendwie geschafft hätte zu überleben, aber keine Verbindung zu mir aufnehmen konnte? Bis ich wieder zu mir kam, war sie womöglich schon auf halbem Wege zum Schleierrand. Nachdem ich das Lichtschiff repariert hatte, dachte ich nicht mehr daran, nach ihr zu suchen. Es kam mir gar nicht in den Sinn, dass sie noch leben könnte.«
»Aus gutem Grund«, sagte Pascale. »Weil sie nämlich tot war. Du magst dein Verhalten jetzt in Frage stellen, aber damals sagte dir deine Intuition, dass sie tot war. Und wenn sie überlebt hätte – dann hätte sie auch eine Möglichkeit gefunden, sich bei dir zu melden.«
»Das weiß ich nicht. Und ich werde es nie erfahren.«
»Dann hör auf, dich damit zu quälen. Sonst kommst du von der Vergangenheit niemals los.«
»Hör zu«, sagte er. Eine von Falkenders Bemerkungen war ihm eingefallen. »Kannst du mit jemandem sprechen, abgesehen von den Wärtern? Mit Sluka oder ihren Anhängern vielleicht?«
»Wer ist Sluka?«
»Die Frau, die uns hier festhält.« Sylveste begriff mit einem gähnenden Gefühl der Leere, dass man ihr so gut wie nichts erzählt hatte. »Ich kann es dir nur in ganz
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