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Unendlichkeit

Unendlichkeit

Titel: Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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ihm jede Körperzelle mit Watte ausgestopft? Er steckte in einem Raumanzug – deshalb! In einem der Spezialanzüge, die der Besatzung gehörten. So ein Ding hatte ihn und Pascale von Resurgam aufs Schiff gebracht. Und der Anzug hatte an Stelle von Luft eine Flüssigkeit in seine Lungen gepresst.
    »Was ist los?«, artikulierte er stumm. Der Anzug konnte solche Äußerungen über den einfachen, im Helm integrierten Sprachzentrums-Trawl interpretieren.
    »Ich schalte zurück«, teilte ihm der Anzug mit. »Schubumkehr am Mittelpunkt.«
    »Wo, zum Teufel, sind wir?« Sich in seinen Erinnerungen zurechtzufinden war immer noch so mühsam wie die Suche nach dem Ende eines verwirrten Wollknäuels. Er hatte keine Ahnung, wo er anfangen sollte.
    »Mehr als eine Million Kilometer vom Schiff und etwas weniger als das von Cerberus entfernt.«
    »Wie sind wir in so kurzer Zeit so weit…?« Er hielt inne. »Nein, warte. Ich habe keine Ahnung, wie lange wir schon unterwegs sind.«
    »Wir sind vor vierundsiebzig Minuten aufgebrochen.« Nicht viel mehr als eine Stunde, dachte Sylveste. Hätte der Anzug von einem Tag gesprochen, dann hätte er auch das widerspruchslos hingenommen. »Wir flogen mit einer durchschnittlichen Beschleunigung von zehn Ge. Triumvir Sajaki hatte Höchstgeschwindigkeit befohlen.«
    Jetzt kam die Erinnerung. Sajakis nächtlicher Anruf, die wilde Jagd zu den Anzügen. Er erinnerte sich, Pascale eine Nachricht hinterlassen zu haben, aber keine genaueren Angaben. Das war sein einziges Zugeständnis gewesen; der einzige Luxus, den er sich gestattete. Doch selbst wenn er Tage Zeit gehabt hätte, um sich auf das Unternehmen vorzubereiten, er hätte kaum etwas anders gemacht. Eigene Dokumentationsoder Aufzeichnungsgeräte brauchte er nicht, denn er hatte Zugriff auf die Datenbanken und die integrierten Sensoren des Anzugs. Die Anzüge waren auch bewaffnet und dafür ausgerüstet, sich gegen Angriffe der Art, wie sie derzeit gegen Volyovas Waffe geführt wurden, autonom zu verteidigen. Sie konnten Instrumente für wissenschaftliche Analysen herstellen und in ihrem Innern Behältnisse zur Aufbewahrung von Proben ausbilden. Davon abgesehen, waren sie so unabhängig wie jedes Raumschiff. Nein – die Erkenntnis kam wie ein Blitz –, das war falsch gedacht; die Anzüge waren Raumschiffe, sehr vielseitige Ein-Mann-Raumschiffe, die zu atmosphäretauglichen Flugzeugen und – wenn nötig – auch zu geländegängigen Fahrzeugen umfunktioniert werden konnten. Bei vernünftiger Überlegung gab es keine bessere Möglichkeit, nach Cerberus zu gelangen.
    »Ich bin froh, dass ich die Beschleunigungsphase verschlafen habe«, sagte Sylveste.
    »Sie hatten gar keine andere Wahl«, erklärte der Anzug ungerührt. »Ihr Bewusstsein wurde unterdrückt. Machen Sie sich jetzt bitte für die Bremsphase bereit. Wenn Sie wieder aufwachen, befinden Sie sich in unmittelbarer Nähe des angegebenen Ziels.«
    Sylveste begann in Gedanken eine Frage zu formulieren; er wollte wissen, warum sich Sajaki nicht zeigte, obwohl er doch versichert hatte, Sylveste begleiten zu wollen. Doch bevor er sein Anliegen noch in die vorsprachliche Form gebracht hatte, die für den Trawl zu interpretieren war, versetzte ihn der Anzug abermals in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
 
    Khouri begab sich auf die Suche nach Pascale Sylveste, und Volyova kehrte auf die Brücke zurück. Sie wagte nicht mehr, die Fahrstühle zu benützen, doch zum Glück brauchte sie nicht mehr als zwanzig Decks zu überwinden; anstrengend, aber nicht unmöglich. Außerdem einigermaßen sicher: das Schiff konnte keine Drohnen in die Treppenhäuser schicken; nicht einmal die Schweber, die auf supraleitenden Magnetfeldern durch die normalen Korridore flogen. Trotzdem behielt sie das Projektilgewehr im Anschlag, während sie die endlose Wendeltreppe hinaufstieg, und bewegte den Lauf von einer Seite zur anderen. Gelegentlich blieb sie stehen, hielt den Atem an und lauschte, ob ihr jemand folgte oder weiter oben auf sie lauerte.
    Unterwegs überlegte sie, auf wie viele Arten die Sehnsucht nach Unendlichkeit sie töten konnte. Es war eine intellektuelle Herausforderung, die sie zwang, ihre Kenntnisse auf andere Weise einzusetzen als bisher. Vieles erschien ihr in einem neuen Licht. Vor gar nicht langer Zeit war sie in einer ganz ähnlichen Situation gewesen wie das Schiff jetzt. Damals wollte sie Nagorny töten oder zumindest verhindern, dass er für sie zur Bedrohung wurde, was im Grunde auf das

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