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Unendlichkeit

Unendlichkeit

Titel: Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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einem Raum mit ihr zu verweilen. Endlich war sie wieder allein. Rasselnd strich ihr der Atem durch die Kehle. Um sich zu beruhigen, zündete sich noch eine Zigarette an und rauchte sie langsam. Sie musste ein paar Minuten abschalten. Liebevoll streichelte sie das Gewehr. Gut, dass sie die Patronen nicht verschwendet hatte, auch wenn sie es in diesem Moment genossen hätte, die Brücke zu zerstören. Khouri hatte eine gute Wahl getroffen.
    Die Seiten der Waffe waren mit silbernen und goldenen Drachenmotiven in chinesischem Stil verziert.
    Aus der Projektionssphäre sprach eine Stimme.
    Volyova blickte auf und sah in Sonnendiebs Gesicht.
    Sie hatte gewusst, wie er aussehen musste, seit ihr Pascale die Bedeutung des Namens erklärt hatte. Es war genauso, wie sie gedacht hatte, und doch viel schlimmer. Denn sie sah das Alien nicht nur von außen. Sie sah auch, wie es sich selbst sah – und sie sah, dass Sonnendieb unter einer massiven Geistesstörung litt. Nagorny fiel ihr ein. Sie verstand, was den Mann in den Wahnsinn getrieben hatte, und konnte ihm kaum noch böse sein – nicht, wenn er die ganze Zeit dieses Wesen im Kopf gehabt hatte, ohne zu ahnen, woher es kam oder was es von ihm wollte. Nein; jetzt hatte sie Mitleid mit dem toten Waffenoffizier. Der arme Teufel war zu bedauern. Vielleicht wäre auch sie in eine Psychose gestürzt, wenn hinter jedem Traum, jedem wachen Gedanken dieses Gespenst gelauert hätte.
    Sonnendieb mochte einst ein Amarantin gewesen sein. Aber er hatte sich verändert, vielleicht sogar gezielt, mit Hilfe der Gentechnik, die durch selektiven Druck aus ihm und seinen Stammesgenossen eine ganz neue Spezies gemacht hatte. Die Verbannten hatten ihre Anatomie für den Flug in der Schwerelosigkeit umgestaltet und sich riesige Flügel wachsen lassen. Volyova sah sie hinter dem schmalen, gerundeten Kopf aufragen, der sich zu ihr herabneigte.
    Es war ein Totenkopf. Die Augenhöhlen waren nicht völlig leer und nicht völlig hohl, sondern bis zum Rand gefüllt mit einer unendlich tiefen Schwärze, die so dunkel und zugleich ohne Tiefe war, wie sie sich die Membranen der Schleierweber vorstellte. Sonnendiebs Knochen verbreiteten ein fahles Licht.
    »Entgegen meinen früheren Äußerungen«, bemerkte sie, als sich der erste Schock gelegt oder zumindest auf ein erträgliches Maß abgeschwächt hatte, »hättest du inzwischen wohl eine Möglichkeit finden können, mich zu töten. Wenn du das wolltest.«
    »Woher willst du wissen, was ich will?«
    Seine Sprache war ein wortloses Nichts, wie aus Stille geschnitten, das aber doch irgendwie Bedeutung vermittelte. Die mehrfach gegliederten Kieferknochen bewegten sich nicht. Volyova erinnerte sich, dass die Sprache für die Amarantin nie das wichtigste Kommunikationsmittel gewesen war. Die gesellschaftlichen Beziehungen beruhten auf visuellen Verständigungsformen. Ein so grundlegendes Charakteristikum war sicher auch dann erhalten geblieben, als Sonnendieb mit seinem Schwarm Resurgam verlassen und die Transformationen eingeleitet hatte; jene radikalen Transformationen, die dafür sorgten, dass er und seinesgleichen für geflügelte Götter gehalten wurden, als sie nach langer Zeit auf ihre Welt zurückkehrten.
    »Ich weiß, was du nicht willst«, sagte Volyova. »Du willst nicht, dass Sylveste daran gehindert wird, Cerberus zu erreichen. Deshalb müssen wir jetzt sterben; damit wir keinen Weg finden können, um ihn aufzuhalten.«
    »Seine Mission ist von großer Bedeutung für mich«, sagte Sonnendieb. Dann verbesserte er sich: »Für uns. Die Überlebenden.«
    »Und was habt ihr überlebt?« Vielleicht war dies ihre einzige Chance, die Verhältnisse wenigstens in Ansätzen zu verstehen. »Nein; warte – was könnte es anders sein als der Untergang der Amarantin? Ist es das? Habt ihr irgendeinen Weg gefunden, dem Tod zu entrinnen?«
    »Du weißt inzwischen, wann ich in Sylveste eingedrungen bin.« Das war keine Frage, sondern eine sachliche Feststellung. Volyova fragte sich, wie viel von ihren Gesprächen Sonnendieb wohl mit angehört hatte.
    »Es muss vor Lascailles Schleier gewesen sein«, sagte sie. »Nur das ergibt einen Sinn – wenn auch nicht allzu viel, wie ich zugeben muss.«
    »Wir hatten dort Zuflucht gefunden; neunhundertundneunzigtausend Jahre lang.«
    Die Übereinstimmung war zu groß; das konnte kein Zufall sein. »Seit euer Leben auf Resurgam endete.«
    »Ja.« Das Wort verklang. Die Stille schien zu brodeln. »Wir hatten die Schleier

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