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Unendlichkeit

Unendlichkeit

Titel: Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Gleiche hinauslief. Letzten Endes hatte sie ihn erst getötet, nachdem er versucht hatte, sie zu töten – aber was sie jetzt beschäftigte, war die Todesart, die sie gewählt hatte. Sie hatte das Schiff so schnell beschleunigt und wieder abgebremst, dass er bei lebendigem Leib zu Brei zerquetscht wurde. Früher oder später – es gab kein stichhaltiges Argument, das dagegen spräche – würde das Schiff auf die gleiche Idee kommen. Dann wäre es besser, nicht mehr an Bord zu sein.
    Sie erreichte unbehelligt die Brücke, aber das hinderte sie nicht, jeden Schatten auf lauernde Maschinen oder – jetzt noch gefährlicher – auf Ratten zu untersuchen. Sie wusste nicht, was ihr die Ratten antun konnten, aber sie war auch nicht scharf darauf, es herauszufinden.
    Die Brücke war so leer, wie Volyova sie verlassen hatte. Die Schäden, die Khouri angerichtet hatte, waren nicht beseitigt worden; der Boden des großen, kugelförmigen Versammlungsraums war noch mit Sajakis Blut befleckt. Die Projektionssphäre hing leuchtend über ihr und zeigte immer neue Berichte über den Zustand des Cerberus-Brückenkopfs. Einen Moment lang beobachtete sie unwillkürlich mit gewissem Stolz, wie wacker sich ihr Geschöpf noch immer gegen die lebensbedrohenden Waffen der Alien-Welt verteidigte. Doch bevor die Genugtuung noch richtig zum Tragen kam, wurde sie durch den Wunsch verdrängt, der Brückenkopf möge versagen und Sylveste den Zugang versperren. Vorausgesetzt, er war noch nicht eingetroffen.
    »Was wollen Sie hier?«, fragte eine Stimme.
    Sie fuhr herum. Von einer der umlaufenden Sitzreihen schaute eine Gestalt auf sie herab, die sie nicht kannte. Ein Mann in dunklem Mantel mit gefalteten Händen und eingefallenem Gesicht. Sie schoss auf ihn, aber er verschwand nicht. Die Kugeln der Projektilwaffe rasten durch ihn hindurch und hinterließen ionisierte Streifen, die wie Fahnen in der Luft hingen.
    Daneben erschien eine zweite Gestalt in anderer Kleidung. »Sie haben Ihr Bleiberecht verwirkt«, sagte sie in einer uralten Norte-Variante, die Volyova nicht sofort verstand und erst mühsam übersetzen musste.
    »Sie müssen einsehen, Triumvir, dass dieses Reich nicht länger das Ihre ist«, meldete sich eine dritte Stimme. Gegenüber war eine weitere Gestalt zum Leben erwacht. Sie trug einen uralten Raumanzug ohne Helm, der über und über mit Kühlleitungen und kastenförmigen Zusatzgeräten bepflastert war, und sprach das älteste Russisch, das Volyova noch umsetzen konnte.
    »Was wollen Sie hier erreichen?«, fragte die erste Gestalt. Daneben manifestierte eine neue Erscheinung, die auf Volyova einredete, und so ging es weiter, bis sie völlig von den Schatten der Vergangenheit umzingelt war. »Das ist unerhört…« Doch schon wurde die Stimme von einem weiteren Gespenst auf der rechten Seite übertönt.
    »…dazu keine Vollmacht, Triumvir. Ich muss Ihnen sagen…«
    »…Ihre Befugnisse erheblich überschritten und müssen sich nun…«
    »…bitter enttäuscht, Ilia, und muss dich höflich bitten, dass du…«
    »…Privilegien… entziehen…«
    »…in keiner Weise akzeptabel…«
    Die Stimmen vermischten sich und steigerten sich zu einem unartikulierten Gebrüll. Volyova begann zu schreien. Die Toten füllten jetzt den ganzen Raum. Wohin sie auch schaute, sie sah nur noch uralte Gesichter, und jedes bewegte die Lippen, als wäre es allein und wähnte sich im Besitz ihrer vollen Aufmerksamkeit. Sie flehten zu ihr wie zu einer allwissenden Gottheit, doch das Flehen war zugleich eine Klage. Zunächst klangen die Stimmen nörgelig und enttäuscht, doch alsbald wurde der Ton von Sekunde zu Sekunde gehässiger und verächtlicher, als hätte Volyova die ganze Gesellschaft nicht nur aufs Schändlichste im Stich gelassen, sondern obendrein ein so grausiges Verbrechen begangen, dass es nicht mit Worten auszudrücken war, sondern nur mit angewidert hochgezogenen Lippen und zutiefst beschämten Blicken angedeutet werden konnte.
    Sie wog das Gewehr in den Händen. Die Versuchung, einen ganzen Patronengurt in die Gespensterschar zu jagen, war fast übermächtig. Töten konnte sie die Erscheinungen natürlich nicht, aber sie konnte ihre Projektionssysteme schwer beschädigen. Doch seit die Waffenkammer nicht mehr in Betrieb war, musste sie Munition sparen.
    »Haut ab!«, schrie sie. »Lasst mich in Frieden!«
    Ein Toter nach dem anderen verstummte und verschwand mit enttäuschtem Kopfschütteln, als ertrage er es nicht, noch länger in

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