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Unendlichkeit

Unendlichkeit

Titel: Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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gewesen – ihre Stimme ging fast unter im Rauschen der Luft, als sie die entsprechenden Anweisungen in das Armband schrie. Erst nach quälenden Augenblicken der Unsicherheit hatte das Schiff endlich Notiz von ihr genommen.
    Doch dann hatte es – wie es sich gehörte – ihren Befehl befolgt.
    Später hatte sie Nagorny gefunden. Eine Sekunde bei zehn Ge wäre unter normalen Umständen nicht tödlich gewesen. Aber Volyova hatte ihre eigene Geschwindigkeit nicht sofort auf Null reduziert. Sie hatte mehrere Versuche dazu gebraucht und Nagorny war mit jeder Schubumkehr zwischen Boden und Decke hin und her geschleudert worden.
    Auch sie selbst hatte einiges abbekommen; beim Sturz war sie mehrfach gegen die Schachtwand geprallt und hatte sich ein Bein gebrochen, aber das war jetzt verheilt und sie hatte nur noch eine schwache Erinnerung an den Schmerz.
    Sie hatte sogar daran gedacht, Nagornys Kopf mit der Laserkürette abzutrennen. Sie musste ihm den Schädel öffnen, um die hochspezialisierten Implantate aus seinem Gehirn entfernen zu können. Die Implantate waren sehr empfindlich. Sie hatte sie mit komplizierten molekularen Interventionsverfahren selbst gezüchtet und wollte möglichst vermeiden, sie kopieren zu müssen.
    Jetzt war es an der Zeit, mit der Operation zu beginnen.
    Sie nahm den Kopf aus dem Helm und legte ihn in ein Bad aus flüssigem Stickstoff. Dann fuhr sie in zwei motorisierte Handschuhe, die in einer Halterung über der Werkbank schwebten. Blanke chirurgische Instrumente in Miniaturausführung erwachten mit leisem Schwirren zum Leben und senkten sich herab, um Teile aus der Schädeldecke zu schneiden, die sich hinterher mit absoluter Präzision wieder einpassen ließen. Doch bevor Volyova den Kopf wieder zusammensetzte, wollte sie Ersatzimplantate einpflanzen, damit sich – sollte er jemals untersucht werden – nicht sofort feststellen ließe, dass sie etwas herausgenommen hatte. Sie musste ihn auch wieder am Körper befestigen – aber das war wohl kein allzu großes Problem. Wenn die anderen erfuhren, was mit Nagorny geschehen war – wenn sie ihnen ihre Version der Geschichte glaubhaft machen konnte – würden sie wohl nicht auf einer allzu gründlichen Untersuchung bestehen. Nur Sudjic könnte Schwierigkeiten machen – sie und Nagorny waren ein Liebespaar gewesen, bevor Nagorny den Verstand verlor.
    Doch diese Brücke wollte Ilia Volyova erst überschreiten, wenn die Zeit dafür gekommen war – so hatte sie es immer gehalten.
    Während sie tief in Nagornys Gehirn eindrang, um sich zurückzuholen, was ihr gehörte, machte sie sich erstmals Gedanken darüber, wer ihn ersetzen sollte.
    Sicher niemand aus der derzeitigen Mannschaft.
    Aber vielleicht fand sich vor Yellowstone ein geeigneter Kandidat.
    »Kiste, wird es allmählich heiß?«
    Die Stimme drang schrill und verzerrt von oben durch die Gebäudemassen. »So heiß, dass wir uns gleich die Finger verbrennen, liebes Kind. Halt durch und gib Acht, dass du keine Giftpfeile verschwendest.«
    »Kiste, darüber wollte ich noch…«
    Khouri sprang zur Seite, als drei Neue Komuso-Mönche mit korbähnlichen Weidenhelmen auf dem Kopf an ihr vorbeimarschierten und ihre Bambusflöten – Shakuhachi genannt – so zackig schwangen wie die Majoretten ihre Taktstöcke. Eine Horde Kapuzineräffchen stob auseinander und verschwand in den Schatten. »Ich meine«, fuhr sie fort, »wenn ich nun einen unbeteiligten Zuschauer treffe?«
    »Ausgeschlossen«, sagte Ng. »Das Gift ist genau auf Taraschis Biochemie abgestimmt. Wenn du einen anderen Menschen auf diesem Planeten triffst, hat er hinterher nur eine hässliche Stichwunde.«
    »Gilt das auch für Taraschis Klon?«
    »Hältst du für möglich, dass er einen hat?«
    »Ich frage ja nur.« Kiste war heute ungewöhnlich nervös.
    »Selbst wenn Taraschi einen Klon hätte und wir ihn versehentlich töteten, wäre das immer noch Taraschis und nicht unser Problem. Das steht alles im Kleingedruckten. Solltest du mal lesen.«
    »Bevor ich vor Langeweile umkomme«, sagte Khouri, »mache ich das vielleicht.«
    Dann erstarrte sie, denn mit einem Schlag hatte sich alles verändert. Ng war verstummt, und statt seiner Stimme hörte sie einen klaren, pulsierenden Ton, leise und unheimlich wie das Impulsecho bei der Anpeilung eines großen Raubtiers. Sie hatte diesen Ton in den letzten sechs Monaten ein Dutzend Mal gehört, jedes Mal hatte er sie darauf hingewiesen, dass sie sich in unmittelbarer Nähe ihres Zielobjekts

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