Unendlichkeit
vertragen.«
»Aber ich habe eine gute Wahl getroffen, das müssen Sie zugeben.«
Sie bog um die Ecke. Ihr Zielobjekt stand neben einem der Schreine. Er wirkte unnatürlich ruhig, ruhiger beinahe als die Statue, die die Szene beobachtete. Sein prächtiger, burgunderroter Anzug – neueste Baldachin-Mode – hatte dunkle Flecken vom Innenregen, und das Haar hing ihm in unvorteilhaft nassen Strähnen in die Stirn. Er sah jünger aus als ihre früheren Opfer, entweder weil er wirklich jünger war, oder weil er genügend Geld hatte, um sich die besten Langlebigkeitstherapien leisten zu können. Sie ahnte jedoch, dass die erste Erklärung die richtige war. »Wissen Sie noch, wozu wir hier sind?«, fragte er.
»Das schon, aber ich weiß nicht, ob es mir gefällt.«
»Tun Sie es trotzdem.«
Wie von Zauberhand bewegt, erfasste ihn einer der Lichtstreifen, die von der Decke fielen. Es war nur ein Moment, aber es genügte. Sie hob das Gewehr.
Und schoss.
»Gut gemacht«, sagte Taraschi. Sie hörte keinen Schmerz in seiner Stimme. Er streckte eine Hand aus und stützte sich an der Wand ab. Mit der anderen fasste er den Schwertfisch in seiner Brust und zog ihn heraus, als zupfe er sich eine Klette aus den Kleidern. Das Projektil fiel zu Boden, an seiner Spitze hing ein glitzernder Serumtropfen. Khouri wollte das Giftgewehr noch einmal heben, aber Taraschi wehrte mit blutiger Hand ab. »Nicht übertreiben«, sagte er. »Ein Schuss sollte genügen.«
Khouri war übel.
»Müssten Sie jetzt nicht tot sein?«
»Das dauert noch ein wenig. Einige Monate, um genau zu sein. Das Gift wirkt nur sehr langsam. Es lässt mir Zeit, darüber nachzudenken.«
»Worüber nachzudenken?«
Taraschi fuhr sich durch das nasse Haar und wischte sich die staubigen, blutverschmierten Hände an den Hosen ab.
»Ob ich ihr folgen will.«
Der Ton in Khouris Kopf riss so plötzlich ab, dass ihr schwindlig wurde und sie halb ohnmächtig zu Boden sank. Der Kontrakt war erfüllt. Sie hatte gewonnen – wieder einmal. Aber Taraschi war noch am Leben.
»Das war meine Mutter.« Taraschi wies auf den nächsten Schrein, einen der wenigen, die sorgsam gepflegt waren. Die Frauenbüste aus Alabaster war völlig staubfrei, so als habe Taraschi sie kurz vor dem Treffen noch eigenhändig gesäubert. Die Haut war unversehrt, die Juwelenaugen waren noch vorhanden, kein Fleck, keine Schramme entstellte die aristokratischen Züge. »Nadine Wengda Silva Taraschi.«
»Was ist mit ihr geschehen?«
»Sie hat das Scannen nicht überlebt, das liegt doch auf der Hand. Die Zerstörung durch das Mapping war so rasant, dass die eine Hälfte ihres Gehirns in Stücke gerissen wurde, während die andere noch normal weiterarbeitete.«
»Das tut mir Leid – obwohl ich weiß, dass sie sich freiwillig gemeldet hat.«
»Keine Ursache. Sie hatte sogar noch Glück. Kennen Sie die Geschichte, Ana?«
»Ich bin nicht von hier.«
»Nein; das habe ich gehört – Sie waren früher Soldat, und dann ist Ihnen etwas Schreckliches zugestoßen. Nun, ich will nur so viel sagen. Das Scannen war in jedem Fall erfolgreich. Das Problem lag bei der Software, die die gescannten Informationen übertragen sollte; damit sich das Zeit- und Erlebnisbewusstsein der Alphas, ihre Emotionen, ihr Erinnerungsvermögen – eben alles, was uns zu Menschen macht – weiterentwickeln konnte. Alles lief so weit gut, bis die letzten von den Achtzig gescannt worden waren – ein Jahr nach Beginn des Experiments. Dann tauchten bei den ersten Freiwilligen seltsame Krankheitsbilder auf. Sie hatten verheerende Zusammenbrüche oder verfingen sich in Endlosschleifen.«
»Sie sagten, sie hätte Glück gehabt?«
»Einige von den Achtzig laufen noch immer«, sagte Taraschi. »Sie haben sich einhundertfünfzig Jahre lang erhalten. Nicht einmal die Seuche konnte ihnen etwas anhaben – sie waren bereits in sichere Computer im so genannten Rostgürtel emigriert.« Er hielt inne. »Aber sie haben schon seit längerem keinerlei direkten Kontakt zur realen Welt mehr – sie entwickeln sich in zunehmend vollkommeneren simulierten Umgebungen isoliert weiter.«
»Und Ihre Mutter?«
»Hat mir vorgeschlagen, zu ihr zu kommen. Die Scanner sind wesentlich besser geworden; sie bringen einen nicht mehr zwangsläufig um.«
»Wo liegt dann das Problem?«
»Ich wäre nicht mehr ich, oder? Ich wäre nur eine Kopie – und das wüsste auch meine Mutter. Jetzt dagegen…« Wieder betastete er die kleine Wunde. »Jetzt werde ich in der
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