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Unendlichkeit

Unendlichkeit

Titel: Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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zu sammeln und sich umzusehen; das Dauerarpeggio in ihrem Kopf bestätigte ihr, dass Taraschi sich nach wie vor in der Nähe befand.
    Der obere Teil der Pyramide war dem Andenken an einzelne Angehörige der Achtzig gewidmet. Zu diesem Zweck hatte man Trennwände aus prächtigem schwarzem Marmor aufgestellt, die nicht ganz bis zur Decke des Schwindel erregend hohen Raumes reichten und mit Nischen versehen waren. Jede Nische wurde von Säulen umrahmt, die mit Figuren in anzüglichen Posen geschmückt waren. Die Wände waren durch offene Rundbögen miteinander verbunden, versperrten aber nach allen Seiten auf etwa zwanzig Meter die Sicht. Durch etliche Löcher in der dreieckigen Decke fiel sepiabraunes Licht in den Raum. Breitere Risse ließen den Regen einströmen. Khouri sah, dass viele Nischen leer waren. Entweder waren die Schreine geplündert worden, oder die Angehörigen der berühmten Opfer hatten die Andenken rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Nur etwa die Hälfte war noch besetzt. Zwei Drittel davon glichen sich auffallend – sie enthielten in konventioneller Anordnung Bilder der Verstorbenen, Biografien und verschiedene Erinnerungsstücke. Es gab auch ausgefallenere Exponate wie Hologramme oder Büsten. In einigen der Nischen waren gar die einbalsamierten Leichen der berühmten Persönlichkeiten zur Schau gestellt, ein grausiger Anblick, auch wenn ein geschickter Präparator sicher die schlimmsten Verwüstungen durch den Tod beseitigt hatte.
    Sie ließ die gepflegten Schreine in Ruhe und plünderte nur die offensichtlich verwahrlosten. Dennoch war ihr nicht wohl bei der Sache. Die Büsten waren besonders gut zu gebrauchen – sie konnte sie gerade noch heben, wenn sie beide Hände unter den Fuß schob. Sie machte sich nicht die Mühe, sie an der Treppe ordentlich aufzustapeln, sondern ließ sie einfach fallen. Den meisten hatte man ohnehin schon die Edelsteinaugen herausgebrochen. Die lebensgroßen Statuen waren schwerer zu bewegen, sie konnte nur eine davon wegschieben.
    Bald war die Barrikade fertig. Im Wesentlichen war es ein Schutthaufen aus abgeschlagenen Steinhäuptern mit würdevollen Gesichtern, die unberührt waren von der erlittenen Schmach. Der Berg war umgeben von Fußangeln aus kleineren Grabbeigaben: Vasen, Bibeln und treuen Servomaten. Selbst wenn Taraschi versuchen sollte, den Haufen abzutragen, um die Treppe zu erreichen, würde sie ihn mit Sicherheit hören und wäre lange bevor er fertig war zur Stelle. Vielleicht sollte sie ihn sogar auf diesem Schädelhaufen töten, er erinnerte ein wenig an Golgatha.
    Sie wartete schon die ganze Zeit darauf, dass irgendwo hinter den schwarzen Trennwänden schwere Schritte zu hören waren.
    »Taraschi«, rief sie. »Machen Sie es sich doch nicht so schwer. Es gibt kein Entrinnen mehr.«
    Seine Stimme klang unerwartet kräftig und selbstbewusst. »Sie irren sich, Ana. Wir sind schließlich hier, um zu entrinnen.«
    Verdammt. Woher kannte er ihren Namen?
    »Ihr Ausweg ist der Tod, nicht wahr?«
    »So ungefähr.« Das klang belustigt.
    Es war nicht das erste Mal, dass ein Opfer noch in letzter Minute auftrumpfte, und sie fand diese Haltung bewundernswert. »Ich soll Sie also suchen. Möchten Sie das?«
    »Warum nicht? Nachdem wir schon so weit gekommen sind?«
    »Ich verstehe. Sie wollen etwas haben für Ihr Geld. Ein Kontrakt mit so vielen Klauseln kann nicht billig gewesen sein.«
    »Klauseln?« Der Ton in ihrem Kopf veränderte sich und wurde leicht ekstatisch.
    »Die Waffe. Die Tatsache, dass wir allein sind.«
    »Ach so«, sagte Taraschi. »Ja, das hatte seinen Preis. Aber ich finde, das Ende sollte sich in persönlicher Atmosphäre abspielen.«
    Khouri wurde unruhig. Sie hatte sich noch nie mit einem Zielobjekt unterhalten. Normalerweise hätte die blutrünstige, tobende Menschenmenge, die von einem solchen Ereignis angezogen wurde, jedes Gespräch unmöglich gemacht. Sie brachte das Giftgewehr in Anschlag und ging langsam den Gang zwischen den Wänden entlang. »Warum ohne Zeugen?«, fragte sie. Sie konnte den Kontakt nicht abbrechen.
    »Eine Frage der Würde. Ich habe das Spiel gespielt, aber das ist kein Grund, in Schande zu sterben.«
    »Sie sind sehr nahe«, sagte Khouri.
    »Das ist richtig.«
    »Und Sie haben keine Angst?«
    »Natürlich habe ich Angst. Aber vor dem Leben, nicht vor dem Sterben. Ich habe Monate gebraucht, um so weit zu kommen.« Die Schritte verstummten. »Wie gefällt Ihnen dieser Ort, Ana?«
    »Er könnte etwas mehr Pflege

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