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Unendlichkeit

Unendlichkeit

Titel: Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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violett und schwarz gestreift. Sie wurde umschwärmt von entoptischen Tautropfen, Seepferdchen und fliegenden Fischen, die rosa-bläuliche Flitterstreifen hinter sich herzogen. Die Füße hatte sie nach innen gedreht, so dass sich die Zehen berührten, und der Oberkörper war leicht nach vorne geneigt. Sylveste saß ihr gegenüber und beugte sich ebenfalls vor.
    »Die Zeiten ändern sich, Doktor. Das sollte gerade Ihnen klar sein.«
    Sie hatte Recht. Er saß jetzt seit zehn Jahren in diesem Gefängnis im Herzen von Cuvier. Das neue Regime, das ihn nach dem Umsturz abgelöst hatte, war in altbewährter Revolutionsmanier ebenso brüchig geworden wie seine Vorgänger. Doch obwohl die politische Landschaft zerrissen war wie eh und je, war die Grundsituation eine völlig andere. Zu seiner Zeit hatte es nur zwei gegnerische Parteien gegeben: eine Gruppe, deren Ziel es war, die Amarantin zu studieren, und eine andere, die Resurgam terraformen wollte, um aus der provisorischen Forschungsstation eine lebensfähige menschliche Kolonie zu machen. Selbst die Verfechter des Terraformens, die Fluter, hatten eingeräumt, dass sich das Studium der Amarantin einmal gelohnt haben mochte. Heutzutage stritten die politischen Parteien nur noch darüber, in welchem Tempo das Terraformen vorangetrieben werden sollte, wobei das Spektrum von Befürwortern langsamer, auf Jahrhunderte angelegter Projekte bis zu Anwälten einer Atmosphäretransformation reichte, die so radikal war, dass die Menschen während des betreffenden Zeitraums vermutlich evakuiert werden müssten. Nur eines stand fest: selbst die schonendsten Eingriffe würden viele Geheimnisse der Amarantin unwiderruflich zerstören. Doch das beeindruckte offenbar kaum jemanden – und die wenigen, die anders dachten, waren zu eingeschüchtert, um die Stimme zu erheben. Abgesehen von einer Stammtruppe verbitterter, schlecht bezahlter Archäologen bekundete inzwischen kaum noch jemand Interesse an den Amarantin. Innerhalb von zehn Jahren war die Beschäftigung mit den ausgestorbenen Fremdintelligenzen zu einer toten Wissenschaft verkommen.
    Und die Bedingungen verschlechterten sich noch weiter.
    Fünf Jahre zuvor war ein Handelsschiff durch das System gekommen. Das Lichtschiff hatte seine Ramscoop-Felder eingezogen und war, ein neuer, heller Stern am Himmel über Resurgam, in den Orbit gegangen. Sein Kommandant, Captain Remilliod, hatte ein riesiges Sortiment an technischen Wunderwerken zu bieten: neue Produkte aus anderen Systemen und Dinge, die man vor der Meuterei zum letzten Mal gesehen hatte. Aber die Kolonie konnte sich nicht alles leisten, was Remilliod zu verkaufen hatte. Wofür man sich entscheiden sollte, war Gegenstand leidenschaftlicher Debatten: lieber Maschinen oder Medikamente; Flugzeuge oder Terraformungs-Anlagen? Gerüchte von heimlichen Geschäften mit Waffen und verbotener Technologie machten die Runde, und obwohl der allgemeine Lebensstandard in der Kolonie höher war als zu Sylvestes Zeit – man denke nur an die Servomaten und die Implantate, die für Pascale inzwischen selbstverständlich waren –, hatten sich unüberbrückbare Risse unter den Flutern aufgetan.
    »Girardieu müsste Todesängste ausstehen«, sagte Sylveste.
    »Keine Ahnung«, sagte Pascale eine Spur zu hastig. »Für mich zählt nur mein Ablieferungstermin.«
    »Worüber wollen Sie heute sprechen?«
    Pascale schaute auf das Notepad nieder, das sie auf den Knien hielt. Innerhalb der letzten sechshundert Jahre hatten die Computer jede Form und jeden Aufbau durchlaufen, die man sich nur vorstellen konnte, aber die einfache Zeichentafel – eine flache Platte mit handschriftlicher Eingabemöglichkeit – war nie für längere Zeit aus der Mode gekommen. »Ich möchte, dass Sie mir erzählen, was mit Ihrem Vater geschehen ist«, sagte sie.
    »Sie meinen die Achtzig? Ist der Komplex für Ihre Bedürfnisse denn noch nicht ausreichend dokumentiert?«
    »Fast.« Pascale berührte ihre purpurrot geschminkten Lippen mit der Spitze ihres Eingabestifts. »Ich habe natürlich alle Standardberichte durchgesehen. Nur eine kleine Frage konnte ich noch nicht zu meiner Zufriedenheit beantworten.«
    »Und wie lautet die?«
    Eines musste er ihr lassen. Es war beeindruckend, wie sie es schaffte, auch die leiseste Spur von Anteilnahme zu unterdrücken. Als ginge es wirklich nur darum, ein loses Ende zu verknüpfen. Es war eine Kunst. Um ein Haar wäre er ihr in die Falle gegangen. »Ich spreche von der

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