Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unendlichkeit

Unendlichkeit

Titel: Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
Vom Netzwerk:
Kohlenstoffanteil zerfällt, die zu einer koaktiven Masse zusammengeschlossen sind. Manchmal scheinen sich diese Moleküle an defekten Gitterstrukturen zur Oberfläche vorzuarbeiten und nur in diesem Fall bekommen wir sie überhaupt zu sehen.«
    »Das klingt ja fast nach einer zielgerichteten Bewegung.«
    »Könnte schon sein. Vielleicht sind die Moleküle so etwas wie kleine Enzyme, die dafür ausgerüstet sind, die Diamantkruste zu reparieren, wenn sie beschädigt wurde.« Er zuckte die Achseln. »Aber wir konnten noch keines dieser Makromoleküle isolieren, wenigstens nicht in stabiler Form. Sobald man sie aus dem Gitter entfernt, geht die Kohärenz verloren. Sie fallen auseinander, bevor wir ins Innere schauen können.«
    »Was Sie da beschreiben«, sagte Sylveste, »klingt verdächtig nach einer Form von Molekulartechnik.«
    Girardieu lächelte, wie um zu zeigen, dass er bereit war, das Versteckspiel mitzumachen.
    »Aber wir wissen natürlich, dass die Amarantin dafür viel zu primitiv waren.«
    »Natürlich.«
    »Natürlich.« Wieder lächelte Girardieu, aber diesmal bezog er die ganze Gruppe mit ein. »Wollen wir den Vorstoß nach innen wagen?«
    Das Tunnelsystem, das von der Rinne ins Innere führte, war unübersichtlicher, als Sylveste zunächst gedacht hatte. Er war davon ausgegangen, dass der Stichtunnel die Außenhülle durchstoßen und in einem Hohlraum im Zentrum enden würde. Aber das war ein Irrtum. Das ganze Artefakt war ein einziges Labyrinth. Etwa zehn Meter weit führte der Tunnel tatsächlich auf den Mittelpunkt zu, doch dann machte er eine Biegung nach links und zerfiel bald in unzählige Äste. Die einzelnen Wege waren mit farbigen Klebeetiketten gekennzeichnet, aber der Farbcode war so kompliziert, dass Sylveste nicht viel damit anfangen konnte. Schon nach fünf Minuten war er völlig verwirrt, obwohl er den Verdacht hatte, dass sie noch nicht sehr weit vorgedrungen waren. Das Tunnelsystem kam ihm vor wie das Werk einer Made, die so verrückt war, sich nur mit der Schicht des Apfels direkt unter der Schale zu begnügen. Doch dann durchquerten sie einen regelrechten Riss in der Struktur, und Girardieu erklärte, das Artefakt bestehe aus einer Reihe von konzentrischen Schalen. Während sie sich durch das nächste verwirrende Tunnelsystem kämpften, unterhielt er sie mit zweifelhaften Anekdoten über die ersten Erkundungsexpeditionen.
    Bekannt war das Objekt seit zwei Jahren – seit Sylveste Pascale darauf aufmerksam gemacht hatte, dass der Obelisk seltsamerweise erst nach dem Ereignis vergraben worden war. Die Freilegung der Höhle hatte fast die ganze Zeit in Anspruch genommen, zu genaueren Untersuchungen des Labyrinths im Innern war man erst in den letzten Monaten gekommen. Ganz zu Anfang hatte es einige Todesfälle gegeben. Die Umstände waren, wie sich mit der Zeit herausstellte, nicht weiter mysteriös. Etliche Teams hatten sich in unmarkierten Bereichen des Tunnelsystems verirrt und waren da, wo noch keine Schutzgitter angebracht waren, in senkrechte Schächte gestürzt. Eine Arbeiterin war verhungert, als sie sich zu weit vorwagte, ohne eine Brotkrumenspur zu hinterlassen – zwei Monate nach ihrem Verschwinden wurde sie von Servomaten gefunden. Sie war, manchmal nur Minuten von den sicheren Zonen entfernt, im Kreis herumgelaufen.
    Als sie die letzte der konzentrischen Schalen erreichten, gingen sie langsamer und registrierten alles genauer als vorher. Der Tunnel führte steil abwärts und lief schließlich horizontal aus. Am Ende dieses Abschnitts sahen sie milchig-trübes Licht schimmern.
    Girardieu sprach in seinen Ärmel, und das Licht wurde schwächer.
    Im Halbdunkel gingen sie weiter. Das Echo ihrer Atemzüge wurde allmählich schwächer – der enge Gang weitete sich. Jetzt war nur noch das mühsame Schnarren der Luftpumpen zu hören.
    »Achtung«, sagte Girardieu. »Jetzt kommt es.«
    Das Licht ging wieder an, und Sylveste wappnete sich gegen die unvermeidliche Desorientierung. Diesmal nahm er Girardieu seinen Hang zur Theatralik nicht übel, denn er erlaubte ihm, in der Vorstellung zu schwelgen, er würde den Fund noch einmal entdecken. Natürlich war das Ersatzbefriedigung, aber das wusste nur er. Er missgönnte den anderen ihren Triumph nicht. Das wäre kleinlich gewesen, denn schließlich würden sie nie erleben, wie wahre Entdeckerfreude sich anfühlte. Er wollte sie schon fast bedauern, doch in diesem Moment enthüllten die aufflammenden Lichter einen Anblick, der jeden

Weitere Kostenlose Bücher