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Unendlichkeit

Unendlichkeit

Titel: Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Die beiden Hälften ergaben ein perfektes Pokergesicht.
    »Gut zu wissen, dass Ihnen so viel an mir liegt.«
    Khouri war noch nicht überzeugt – die Möglichkeit, dass die beiden eine Gemeinheit planten, stand immer noch drohend im Raum – aber sie wühlte in ihren Habseligkeiten, bis sie eine Thermojacke fand. Sie war vom Schiff hergestellt und hatte den gleichen Schnitt wie Sajakis bunter Rock, nur reichte sie ihr fast bis an die Knie.
    Ein Fahrstuhl brachte sie in bisher unerforschte Regionen des Schiffes – zumindest weit weg von allem, was für Khouri bekanntes Territorium war. Mehrmals mussten sie zu Fuß Verbindungstunnel durchqueren, um die Fahrstühle zu wechseln. Volyova sagte, das sei nötig, weil große Teile des Transitsystems durch Virusschäden ausgefallen seien. Die Ausgestaltung und der technische Stand dieser Durchgangsbereiche war jedes Mal ein klein wenig anders, für Khouri ein Hinweis, dass ganze Schiffszonen seit Jahrhunderten brach lagen. Ihre Nervosität legte sich nicht, aber sie entnahm Sajakis und Volyovas Verhalten, dass ihr eher ein Initiationsritual als eine eiskalte Hinrichtung bevorstand. Die beiden wirkten wie zwei Kinder, die eine gefährliche Dummheit begehen wollten. Zumindest Volyova wirkte so. Sajaki gab sich autoritärer, wie ein Funktionär bei der Ausübung einer unerfreulichen Amtspflicht.
    »Da Sie nun zu uns gehören«, sagte er, »ist es höchste Zeit, Ihnen etwas mehr über die Verhältnisse an Bord zu erzählen. Vielleicht möchten Sie auch gerne erfahren, aus welchem Grund wir nach Resurgam fliegen wollen.«
    »Ich dachte, um Handel zu treiben.«
    »Das war unser Vorwand, aber ich will gerne zugeben, dass der nie sehr überzeugend war. Resurgams Wirtschaft ist kaum der Rede wert – die Kolonie wurde nur zu Forschungszwecken gegründet. Man hat dort sicher nicht die Mittel, um uns viel abzukaufen. Natürlich sind unsere Informationen zwangsläufig veraltet, und wenn wir dort sind, werden wir so viele Geschäfte abwickeln wie nur möglich, aber das allein wäre kein Grund für die Reise gewesen.«
    »Was dann?«
    Der Fahrstuhl bremste ab. »Haben Sie den Namen Sylveste schon einmal gehört?«, fragte Sajaki.
    Khouri bemühte sich, so zu tun, als sei das eine ganz normale Frage, obwohl der Name in ihrem Schädel wie eine Magnesiumfackel zündete.
    »Aber gewiss doch. Jedermann auf Yellowstone kannte Sylveste. Der Mann war praktisch ein Gott. Vielleicht auch der Teufel.« Sie hielt inne. Hoffentlich erregte sie keinen Verdacht. »Aber warten Sie; von welchem Sylveste reden wir überhaupt? Vom älteren, der diese Unsterblichkeitsversuche verpfuscht hat? Oder von seinem Sohn?«
    »Theoretisch«, sagte Sajaki, »von beiden.«
    Der Fahrstuhl kam dröhnend zum Stehen. Als die Türen aufgingen, schlug ihnen die Luft wie ein nasses, kaltes Tuch ins Gesicht. Khouri war froh um ihre warme Jacke, obwohl sie trotzdem gleich darauf jämmerlich fror. »Nicht alle Sylvestes waren nämlich Dreckskerle«, fuhr sie fort. »Lorean, der Vater des Alten, blieb auch nach seinem Tod ein Volksheld, sogar nachdem der Alte – wie hieß er doch noch?«
    »Calvin.«
    »Richtig. Sogar nachdem der Alte so viele Menschen umgebracht hatte. Dann kam Calvins Sohn – der hieß wohl Dan – und versuchte auf seine Art mit der Schleierweber-Geschichte Wiedergutmachung zu leisten.« Khouri zuckte die Achseln. »Ich war damals natürlich nicht dort. Ich weiß nur, was mir die Leute erzählt haben.«
    Sajaki führte sie durch düstere, grau-grün beleuchtete Korridore. Riesige, vielleicht mutierte Pförtnerratten flohen vor ihren Schritten. Die Gänge sahen aus wie die Luftröhre eines Cholerakranken – die Wände trugen einen dicken Panzer aus klebrigem, schmutzigem Eis, alles war geädert mit Rohren und Stromleitungen und bedeckt von einer Substanz, die so ekelerregend war wie menschlicher Auswurf. Schiffsschleim nannte Volyova die Masse – ein organisches Sekret, entstanden durch Störungen in biologischen Wiederaufbereitungssystemen in einem der angrenzenden Decks.
    Am schlimmsten fand Khouri jedoch die Kälte.
    »Sylveste spielt in dem ganzen Geschehen eine ziemlich undurchsichtige Rolle« sagte Sajaki. »Es dauert eine Weile, Ihnen das zu erklären. Aber zuerst möchte ich Sie dem Captain vorstellen.«
 
    Sylveste ging persönlich herum, um sich zu überzeugen, dass alles Wichtige an seinem Platz war. Zufrieden löschte er das gespeicherte Bild und folgte Girardieu in den Vorraum der Hütte. Die

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