Unendlichkeit
anschließend mit leisem Kribbeln je eine Biopsie-Probe zu entnehmen. Danach zog Ordinator Massinger das Buch zu sich heran und drückte ihrerseits die Hand darauf.
Dann bat sie Nils Girardieu, den Versammelten seinen Namen zu nennen. Sylveste sah ein leises Lächeln durch die Zuschauerreihen huschen. Die Szene hatte etwas Absurdes, obwohl Girardieu selbst jede Theatralik vermied.
Anschließend sollte sich auch Sylveste vorstellen.
»Ich bin Daniel Calvin Lorean Soutaine-Sylveste«, sagte er. Diese Form seines Namens verwendete er so selten, dass er fast Mühe hatte, sich daran zu erinnern. Er fuhr fort: »Der einzige natürliche Sohn von Rosalyn Soutaine und Calvin Sylveste, beide gebürtig aus Chasm City, Yellowstone. Ich wurde am siebzehnten Januar im einhunderteinundzwanzigsten Standardjahr nach der Neubesiedelung von Yellowstone geboren. Mein kalendarisches Alter beträgt zweihundertundfünfzehn Jahre. Dank verschiedener Therapien mit Nanomaschinen beläuft sich mein biologisches Alter nach der Sharavi-Skala auf sechzig Jahre.«
»Wie viele Inkarnationen von sich sind Ihnen bekannt?«
»Meines Wissens manifestiere ich nur in der biologischen Form, in der ich vor Ihnen stehe.«
»Sie versichern, dass Sie weder in diesem noch einem anderen Sonnensystem als Alpha-Simulation oder als andere Turing-kompatible Kopie auftreten?«
»Mir ist davon nichts bekannt.«
Ordinator Massinger trug die Angaben mit einem Druckstift in das Buch ein. Girardieu hatte sie genau die gleichen Fragen gestellt: sie gehörten standardmäßig zu jeder Stoner-Hochzeit. Seit den Achtzig hegten die Stoner ein tiefes Misstrauen gegen alle Simulationen, insbesondere, wenn sie von sich behaupteten, das Wesen oder die Seele eines Individuums zu enthalten. Vor allem wehrten sie sich gegen die Vorstellung, eine – biologische oder andere – Inkarnation eines Individuums könnte Verträge abschließen, an die andere Inkarnationen nicht gebunden seien. Zum Beispiel eine Ehe.
»Damit sind alle Bedingungen erfüllt«, stellte Ordinator Massinger fest. »Die Braut trete vor.«
Pascale trat, begleitet von zwei Frauen mit aschgrauen Kopftüchern und einer Schar von Kameradrohnen und Sicherheitswespen, ins rosarote Licht. Ein halbtransparentes Gefolge von entoptischen Figuren – Nymphen, Seraphim, fliegenden Fischen, Hummeln, glitzernden Tautropfensternen und Schmetterlingen – umwogte ihr Hochzeitskleid in trägen Kaskaden. Die exklusivsten Entoptik-Designer von Cuvier hatten sie geschaffen.
Girardieu hob seine stämmigen Arme und winkte seine Tochter zu sich.
»Du siehst wunderschön aus«, sagte er.
Sylveste sah eine auf digitale Perfektion reduzierte Schönheit, aber er wusste, dass Girardieus Augen etwas unvergleichlich viel Weicheres und Menschlicheres zeigten. Der Unterschied war etwa so groß wie zwischen einem lebenden Schwan und einer Skulptur aus hartem Glas.
»Legen Sie die Hand auf das Buch«, verlangte der Ordinator.
Die Feuchtigkeit von Sylvestes Handabdruck umgab Pascales helle Fleischinsel wie eine dunklere Küstenlinie. Nun wurde sie wie vorher Girardieu und Sylveste aufgefordert, sich zu identifizieren. Bei Pascale war das ganz einfach: sie war nicht nur auf Resurgam geboren, sondern hatte den Planeten auch nie verlassen. Ordinator Massinger griff tiefer in die Mahagoni-Schatulle. Währenddessen warf Sylveste einen Blick auf die Zuschauer. Janequin war noch blasser als sonst und rutschte unruhig hin und her. In den Tiefen der Schatulle lag, zu bläulich antiseptischem Glanz poliert, ein Gebilde, das aussah wie eine Kreuzung zwischen einer altmodischen Pistole und der Injektionsspritze eines Tierarztes.
»Die Hochzeitswaffe«, sagte Ordinator Massinger und hielt die Schatulle in die Höhe.
Die Kälte schnitt bis ins Mark, aber bald nahm Khouri die Temperatur nur noch als abstrakte Eigenschaft wahr. Zu merkwürdig war die Geschichte, die ihr die beiden Triumvirn erzählten.
Sie standen vor dem Captain. Inzwischen wusste sie, dass er John Armstrong Brannigan hieß und unvorstellbar alt war, zwischen zweihundert und fünfhundert Jahren, je nachdem, mit welchem System man sein Alter bestimmte. Die Umstände seiner Geburt waren nicht mehr genau festzustellen und unmöglich von den Widersprüchen der politischen Geschichte zu trennen. Einige sagten, er sei auf dem Mars geboren worden, aber es war auch möglich, dass er auf der Erde, in einer der vielen Städte auf dem Mond der Erde oder in einem der mehreren Hundert
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