Unendlichkeit
und stiegen ein. Die Kabine war nagelneu und von geradezu steriler Sauberkeit. An der Wand hingen Drucke, verschiedene Ansichten von Resurgam vor und nach den Eingriffen durch die Fluter. Ein Bild zeigte sogar Mantell. Die Mesa, der Tafelberg, in dem die Forschungsstation untergebracht war, verschwand hier unter dichtem Laubwerk, von oben stürzte ein Wasserfall herab, darüber spannte sich ein blauer Himmel mit vereinzelten Wolken. In Cuvier beschäftigte sich ein ganzer Industriezweig von Aquarellisten bis hin zu spezialisierten Sensorium-Designern mit der Entwicklung von Bildern und Simulationen des künftigen Resurgam.
»Und zum zweiten«, sagte Girardieu, »kriechen im Moment radikale Naturwissenschaftler aus allen Löchern. Erst letzte Woche wurde ein Vertreter des Wahren Weges in Mantell erschossen, und zwar nicht von einem unserer Agenten, das kann ich dir versichern.«
Der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung, um sie in die Stadt hinunter zu bringen.
»Was willst du damit sagen?«
»Dass wir neben den Fanatikern auf beiden Seiten allmählich wie Gemäßigte aussehen. Deprimierende Vorstellung, nicht wahr?«
»Du meinst, die Radikalen hätten uns an allen Fronten überholt?«
»So könnte man sagen.«
Als sie die schwarze, mit Schriftzeichen bedeckte Stadtmauer verließen, platzten sie mitten in eine Gruppe von Medienvertretern, die letzte Vorbereitungen für das große Ereignis trafen. Die Reporter hatten bräunliche Kamerabrillen aufgesetzt und programmierten ihre Drohnen, die ringsum in der Luft hingen wie graubraune Luftballons.
Einer von Janequins gentechnisch entwickelten Pfauen lief pickend um die Gruppe herum und zog raschelnd seinen Schweif hinter sich her. Zwei schwarz uniformierte Sicherheitsbeamte mit goldenen Fluter-Abzeichen auf den Schulterklappen traten vor. Scharen von entoptischen Figuren umschwebten sie mit drohenden Mienen. Dahinter warteten Servomaten. Sylveste und Girardieu wurden einer gründlichen Identitätskontrolle unterzogen, dann winkte man sie zu einer kleinen Hütte, die gleich neben einigen nestartig zusammengeklebten Amarantin-Behausungen aufgestellt worden war.
Die Hütte war leer bis auf einen Tisch und zwei einfache Stühle. Auf dem Tisch standen eine Flasche Amerikano-Rotwein und zwei Weingläser mit eingravierten Landschaftsszenen.
»Setz dich«, sagte Girardieu gönnerhaft. Er ging breitbeinig um den Tisch herum und goss in jedes Glas einen Schluck Wein. »Warum bist du eigentlich so verdammt nervös? Es ist doch nicht deine erste Hochzeit.«
»Eigentlich schon die vierte.«
»Jedes Mal nach Stoner-Ritus?«
Sylveste nickte. Er dachte an seine ersten beiden Hochzeiten: Feiern in kleinem Rahmen, Frauen aus den unteren Schichten, deren Gesichter er im Rückblick kaum noch auseinanderhalten konnte. Beide waren förmlich verwelkt im grellen Scheinwerferlicht, das ständig auf seine berühmte Familie gerichtet war. Dagegen war die Hochzeit mit Alicia – seiner letzten Frau – von Anfang an als Medienereignis konzipiert worden. Man hatte sie benutzt, um die Aufmerksamkeit auf die bevorstehende Resurgam-Expedition zu lenken und dem Unternehmen eine letzte, dringend benötigte Finanzspritze zu verschaffen. Dass sie sich geliebt hatten, war dabei fast nebensächlich gewesen, ein erfreulicher Nachtrag zu einer längst getroffenen Vereinbarung.
»Du schleppst inzwischen jede Menge Erinnerungen mit dir herum«, bemerkte Girardieu. »Wünschst du dir nicht jedes Mal wieder, die Vergangenheit abschütteln zu können?«
»Du findest die Zeremonie ungewöhnlich.«
»Mag sein.« Girardieu wischte sich den Rotwein von den Lippen. »Ich war in der Stoner-Kultur nie richtig verwurzelt.«
»Du bist mit uns von Yellowstone gekommen.«
»Schon, aber ich wurde nicht dort geboren. Meine Familie stammt von Grand Teton. Ich kam erst sieben Jahre vor dem Aufbruch der Resurgam-Expedition nach Yellowstone. Das reichte nicht aus, um die Stoner-Kultur wirklich zu verinnerlichen. Meine Tochter dagegen… Pascale hat nie etwas anderes als die Stoner-Gesellschaft kennen gelernt. Zumindest in der Form, wie wir sie mitgebracht haben.« Er senkte die Stimme. »Du hast das Fläschchen doch sicher bei dir. Kann ich es sehen?«
»Den Wunsch kann ich dir kaum abschlagen.«
Sylveste griff in die Tasche, holte den kleinen Glaszylinder heraus, den er schon den ganzen Tag mit sich herumtrug, und reichte ihn Girardieu. Der befingerte ihn nervös, schwenkte ihn hin und her und beobachtete die Blasen,
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