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Unendlichkeit

Unendlichkeit

Titel: Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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diesen Trend nur fort. Führte ihn zur Vollendung, wenn man so will.«
    Volyova nickte, doch etwas in ihrem Gesicht verriet Khouri, dass das Verhältnis zu ihrem Kollegen nicht ganz ungetrübt war. »Überhaupt war das lange vor den Achtzig. Calvins Name war ohne Makel. Und im Vergleich zu den alltäglichen Extremen des Ultra-Lebens lag Brannigans Transformation nur wenig außerhalb der Norm.« Der Abscheu in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
    »Weiter.«
    »Bis zu seiner nächsten Begegnung mit dem Sylveste-Clan verging fast ein Jahrhundert«, sagte Sajaki. »In der Zwischenzeit hatte er das Kommando über dieses Schiff übernommen.«
    »Was geschah?«
    »Er wurde abermals verwundet. Diesmal schwer.« Er strich so vorsichtig, als halte er den Finger über eine Kerzenflamme, über den äußersten Rand der silbrigen Wucherungen. Die Ausläufer des Captains wirkten so schaumig wie die Lake, die das Meer bei Ebbe in den Felshöhlungen zurücklässt. Sajaki wischte sich diskret die Hand an der Vorderseite seiner Jacke ab, aber Khouri merkte, dass er sich nicht sauber fühlte; seine Finger schienen zu jucken und zu kribbeln, als sei ihm der Kontakt mit dem verseuchten Gewebe unter die Haut gegangen.
    »Leider«, fuhr Volyova fort, »war Calvin damals bereits tot.«
    Natürlich. Er war mit den Achtzig gestorben; er hatte als einer der Letzten seine körperliche Existenz verloren.
    »Schön«, sagte Khouri. »Aber er starb, während sein Gehirn von einem Computer gescannt wurde. Warum haben Sie nicht einfach die Aufzeichnung gestohlen und sie überredet, Ihnen zu helfen?«
    »Wenn das möglich gewesen wäre, hätten wir es getan.« Sajakis tiefe Stimme wurde von der engen Biegung des Korridors zurückgeworfen. »Aber die Aufzeichnung, die Alpha-Simulation, war verschwunden. Und es gab keine Duplikate – Alphas waren kopiergeschützt.«
    »Das heißt«, sagte Khouri in der Hoffnung, die Leichenhausatmosphäre etwas zu zerstreuen, »Sie hatten keinen Captain mehr und saßen in der Scheiße.«
    »Nicht ganz«, sagte Volyova. »Das alles fiel nämlich in eine ziemlich interessante Periode der Geschichte von Yellowstone. Daniel Sylveste war eben von den Schleierwebern zurückgekehrt – und er war weder tot, noch hatte er den Verstand verloren. Seine Begleiterin hatte weniger Glück gehabt, aber ihr Tod machte ihn erst recht zum strahlenden Helden.« Sie hielt inne, dann fragte sie so ungeduldig wie ein Vögelchen: »Haben Sie jemals von seinen ›Dreißig Tagen in der Wildnis‹ gehört, Khouri?«
    »Kann schon sein. Helfen Sie meinem Gedächtnis auf die Sprünge.«
    »Er verschwand vor hundert Jahren für einen vollen Monat«, sagte Sajaki. »Der gefeierte Mittelpunkt der Stoner-Gesellschaft war von einem Augenblick zum anderen nicht mehr aufzufinden. Es gingen Gerüchte um, er hätte die Stadtkuppel verlassen; er hätte sich in einen Exo-Anzug gezwängt und sei ausgezogen, um die Sünden seines Vaters zu sühnen. Eine rührende Geschichte, nur leider ist sie nicht wahr. In Wirklichkeit«, Sajaki nickte zum Fußboden hin, »verbrachte er diesen Monat hier. Wir hatten ihn entführt.«
    »Sie haben Dan Sylveste gekidnappt?« Was für ein Husarenstück! Khouri musste beinahe lachen. Doch dann fiel ihr ein, dass es um den Mann ging, den sie töten sollte, und das Lachen verging ihr schnell.
    »Ich würde lieber sagen, wir haben ihn eingeladen, an Bord zu kommen«, sagte Sajaki. »Auch wenn ich zugeben muss, dass er eigentlich keine andere Wahl hatte.«
    »Damit ich ganz klar sehe«, sagte Khouri. »Sie haben also Cals Sohn entführt? Was hatten Sie davon?«
    »Calvin hatte einige Vorkehrungen getroffen, bevor er sich dem Scanner auslieferte«, sagte Sajaki. »Eine Maßnahme war ganz simpel, musste aber Jahrzehnte vor dem Höhepunkt des Projekts eingeleitet werden. Kurz gesagt, er hat veranlasst, dass jede Sekunde seines Lebens von Aufzeichnungssystemen überwacht wurde. Jede Sekunde, ob er wachte oder schlief. Im Lauf der Jahre lernten die Maschinen, seine Verhaltensmuster zu imitieren und seine Reaktionen in jeder Situation mit erstaunlicher Genauigkeit vorherzusagen.«
    »Eine Beta-Simulation.«
    »Ja, aber ein Beta-Sim, das um mehrere Stufen komplexer war als alles bis dahin Dagewesene.«
    »Nach einigen Definitionen«, sagte Volyova, »hatte es bereits ein Bewusstsein; Calvin hatte die Seelenwanderung vollzogen. Er selbst mag daran geglaubt haben oder nicht, jedenfalls trieb er die Entwicklung des Sims so weit, dass es

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