Unerwartet (German Edition)
treten und durch die Tür schon wieder eine Gruppe junger Frauen kommt.
Zwanzig Minuten später habe ich einen Moment Luft. Ben und Jakob haben aufgegessen und räumen gerade ihr Geschirr in die Backstube.
Zögerlich lege ich Jakob eine Hand auf die Schulter.
„Du musst das nicht tun“, sage ich leise.
„Was? Meinen Teller wegräumen oder Ben bei den Hausaufgaben helfen?“
„Beides. Ben sucht nur jemanden, der für ihn die Arbeit macht. Und weil du darauf bestehst, für alles zu bezahlen, musst du auch nicht abräumen.“
Da Ben gerade auf der Toilette verschwunden ist, hört er unsere Unterhaltung nicht.
„Ich bin nicht blöd, Katharina. Ich war selbst mal in dem Alter. Wenn ich ihm helfe, dann erkläre ich es ihm so, dass er es versteht. Dann kann er es selbst machen. Und natürlich bezahle ich mein Essen und meinen Kaffee. Du verdienst hier deinen Lebensunterhalt und ich bin kein Schmarotzer.“
Er nimmt mein Gesicht in die Hände und küsst mich auf den Mundwinkel. Nur eine kleine Berührung, die ich bis in die Zehenspitzen fühle. Jakob reagiert sofort auf das Öffnen der Toilettentür und tritt einen Schritt zurück.
„Danke“, flüstere ich und überlasse die beiden sich selbst.
Ben und Jakob sind schon längst nach oben gegangen, als ich endlich den Laden zuschließen kann. Erschöpft schleppe ich mich die Treppe hoch und streife meine Schuhe ab.
Ausnahmsweise hat Ben den Weg ins Bett gefunden, also ziehe ich mein T-Shirt über den Kopf und schmeiße es auf dem Weg ins Bad in mein Schlafzimmer. Meinen Rock hänge ich auf einen Bügel hinter der Badezimmertür. Meine Unterwäsche landet auf dem Boden, bevor ich mich unter die Dusche stelle. Das heiße Wasser entspannt meine Muskeln und macht mir deutlich, wie erschöpft ich bin. In meinem Brustkorb breitet sich völlig ohne Vorwarnung ein Gefühl aus, dass mir Tränen in die Augen treibt. Es ist, als würde sich eine Faust um mein Herz schließen und gleichzeitig alle Luft aus meinen Lungen pressen. So intensiv habe ich es schon lange nicht mehr gespürt.
Es ist total albern, doch ich kann es nicht unterdrücken. Ben fährt in drei Tagen für eine Woche auf Klassenfahrt und ich fühle mich jetzt schon einsam. Dabei weiß ich, dass die Linderung nur eine Tür weiter wohnt. Diese Sehnsucht beunruhigt mich im höchsten Maße, weil sie abhängig macht. Das bin ich nicht. Abhängigkeit macht nur verletzlich.
In den letzten Tagen sind die Temperaturen wieder etwas gefallen, also wickele ich mich eine Decke, bevor ich mich mit einer Tasse Tee auf die Terrasse zurückziehe. Die Hollywoodschaukel meiner Mutter ist der perfekte Platz zum Einkuscheln. Das alte Ding ist alles andere als ein Schmuckstück. An vielen Stellen ist der Lack abgeplatzt und die ersten Roststellen zeigen sich auch schon, doch ich kann mich einfach nicht davon trennen. Dieses Jahr habe ich mir ein neues Polster gegönnt, aber ansonsten ist sie noch im Ursprungszustand.
„Das sieht gemütlich aus. Kann ich mich dazu gesellen?“ Jakobs tiefe, angenehm raue Stimme bringt mich zum Lächeln. Ich muss ein paar Mal blinzeln, um ihn in der Dunkelheit erkennen zu können.
„Komm rüber. Unter meiner Decke ist noch Platz.“
Mühelos steigt er über die Mauer, die unsere Terrassen trennt, und setzt sich neben mich. Ich sehe zu ihm und für einen Moment schauen wir uns einfach nur die Augen. Jakob schließt die Distanz zwischen uns und nimmt meine Oberlippe zwischen seine Lippen, um sanft daran zu saugen. Bevor wir den Kuss vertiefen können, löst er sich wieder von mir.
„Du riechst gut“, flüstert er und streichelt über meine Wange.
„Ich war duschen. Es war einsam.“
Das wollte ich nicht sagen, aber trotzdem kommen solche Dinge manchmal einfach raus.
„Weißt du, Katharina, ich war nur ein paar Meter entfernt und wäre mehr als willig gewesen, dir Gesellschaft zu leisten.“
„Ben fährt in drei Tagen auf Klassenfahrt und irgendwie, ich weiß auch nicht …“
Jakob scheint nicht verwundert, dass ich das Thema von nackten Spielchen unter der Dusche zu meinem Bruder wechsle.
„Mami vermisst ihr Baby jetzt schon“, bemerkt er grinsend.
„Ich bin nicht seine Mutter.“
Es ist nur eine sachliche Feststellung, doch Jakob sieht das anders.
„Auf eine Weise bist du es, Katharina. Falls es dir nicht bewusst sein sollte, Ben verehrt dich. Er weiß, was er an dir hat, auch wenn er sich vielleicht nicht immer so benimmt.“
„In der letzten Zeit habe
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