Unerwartet (German Edition)
nebeneinander sitzen.
Die beiden Männer führen einen stillen Dialog mit Blicken. Ein Verdacht schleicht sich in mein Bewusstsein, doch ich bin noch nicht bereit, ihn aufzugreifen.
„Du bist Jakobs Freundin, also auch wichtig für mich. Ist das ein Problem, Engel?“ Paul nimmt meine linke Hand, küsst mich auf die Fingerknöchel und lässt sie dann gleich wieder los.
„Nicht wirklich“, antworte ich heiser. Ich weiß nicht, was hier los ist, nur das mir gerade sehr warm wird.
Wir sind bei der Nachspeise, als Jakobs Pager losgeht. Genervt zieht er ihn aus der Hosentasche und schaut auf das kleine Display.
„Ich muss mal kurz hören, was los ist.“ Er nimmt sein Handy vom Tisch und geht nach draußen.
„In ein paar Wochen wird das nicht mehr passieren.“ Paul klaut mir den letzten Bissen Tiramisu vom Teller und grinst mich an.
„Du meinst, dass er mitten in der Nacht weg muss? Das stört mich nicht.“
Es ist auch das erste Mal, dass ich so etwas mitbekomme.
„Glaub mir, nach ein paar Jahren stört auch dich das.“
„Warum hast du keine Freundin oder Frau, Paul?“
Diese Frage brennt mir schon länger unter den Nägeln.
Paul nimmt einen Schluck von seinem Espresso und denkt über meine Frage nach.
„Bist du schwul?“
Seine Augen treten beinahe aus ihren Höhlen und er schafft es gerade noch, den Espresso zu schlucken, bevor er ihn über den ganzen Tisch prustet. Jakobs Rückkehr rettet ihn vor einer Antwort. Vorerst.
„Es tut mir leid, aber ich muss noch mal in die Klinik.“ Gestresst fährt er sich durch die Haare.
„Was ist es?“, fragt Paul.
„Junge, sechs Jahre. So ziemlich das ganze Gesicht zertrümmert. Noch habe ich keine Details, weil er gerade geröntgt wird. Aber er muss zweifellos in den OP. Laut seinem betrunkenen Vater ist er die Treppe runter gefallen. Ich muss wirklich los.“
„Geh!“ Paul winkt ihn raus. „Ich bringe Katharina nach Hause.“
Jakob küsst mich und bedankt sich bei Paul, bevor er aus der Tür stürmt.
„Er ist nicht die Treppe runter gefallen, oder?“
Ich bin mir nicht sicher, ob ich eine ehrliche Antwort haben möchte.
„Vermutlich nicht, nein. So heftige Verletzungen in der Form sind selbst bei Treppenstürzen unwahrscheinlich.“
„Was stimmt mit dieser Welt nicht?“
Alleine der Gedanke, dass jemand einem Kind so etwas antun könnte, treibt mir die Tränen in die Augen.
„Eine Menge, Katharina. Das ist einer der Gründe, warum Jakob da raus muss. Seit er Eliana hat, kann er damit nicht mehr gut umgehen.“
„Bringst du mich jetzt nach Hause? Ich bin müde.“
Es sind nur ein paar Meter und ich finde den Weg sehr wohl ohne ihn, aber ich möchte noch nicht alleine sein.
„Natürlich, Engel.“
Ohne weitere Absprache bezahlt Paul die Rechnung und lässt sich auf keine Diskussion ein, dass ich wenigstens meinen Anteil übernehme. Ich mag es nicht, aber er gibt mir keine Chance, ohne eine große Szene zu machen.
Paul besteht darauf, mich bis vor die Wohnungstür zu begleiten.
„Kann ich dich umarmen?“, fragt er, hat aber noch die Hände in den Hosentaschen.
„Sehr gerne.“ Zaghaft gehe ich ihm entgegen und lasse mich in eine warme Umarmung schließen. „Und danke für das Abendessen.“
„Du kannst dich jederzeit mit Cupcakes revanchieren“, sagt er, lässt mich aber noch nicht los.
„Das werde ich, Paul.“
Vorsichtig schiebe ich ihn von mir und trete einen Schritt zurück. Seine grünen Augen verfolgen jede meiner Bewegungen.
An meinen Gefühlen für Jakob hat sich nichts geändert. Sie werden sogar mit jedem Tag mehr, auch wenn ich mich manchmal noch dagegen wehren möchte.
Dennoch, wäre ich nicht mit Jakob zusammen, dann würde ich ihn jetzt küssen. All diese widersprüchlichen Gefühle erschöpfen mich.
„Wenn Jakob zurückkommt, wird er vermutlich nicht in bester Verfassung sein. Egal wie er sich benimmt, nimm es ihm nicht übel.“
„Es ist okay, Paul. Ich weiß damit umzugehen.“
Ich habe lange genug mit meinem depressiven Vater zusammengelebt.
„Noch was, Engel. Zu der Frage, ob ich schwul bin. Wenn ich euch beiden in Zukunft noch öfter zuhören muss, dann solltest du vielleicht mal darüber nachdenken, mich dazu einzuladen. Und damit meine ich nicht, dass ich dir dabei helfe, Jakob zu verwöhnen.“
Er hat also doch alles mitbekommen. Mein gesamter Blutvorrat scheint sich in meinen Wangen und meiner Scham zu sammeln.
„Was würde Jakob dazu sagen?“, flüstere ich atemlos, obwohl
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