Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte
mit.
In diesem Moment fiel mein Blick auf Madar, die im Schlafzimmer stand und uns durch das Fenster beobachtete. Winkend rief ich ihr zu: »Madar, komm raus. Wir brauchen dringend deine Hilfe!« Ich hörte nicht auf mit den Händen zu fuchteln, aber sie wirkte wie versteinert und schüttelte lediglich den Kopf. Was war los mit ihr? Nach einer Wasserschlacht in Schahmirzad, die sie obendrein oft selbst provoziert hatte, war sie nasser gewesen als wir drei zusammen. Meine Brüder hatten sie auch bemerkt. Milad stellte das Wasser ab.
Nachdem wir uns trockene Sachen angezogen hatten, ging es wie gewohnt runter in die Werkstatt. Mittlerweile hatten wir alle Bretter, die wir benötigten, vermessen und gesägt. Mir taten noch die Arme weh, denn ich war für das Sägen zuständig gewesen, während Milad die richtige Länge markiert und Masoud das Brett festgehalten hatte. Entgegen unserer Erwartung hatte alles viel länger gedauert, aber heute standen endlich die Sitze auf dem Plan. Milad musste sie erst skizzieren. In der Zwischenzeit machten Masoud und ich uns mit Holzfeilen ans Werk.
Wir hatten dem ersten Brett soeben den letzten Schliff gegeben, als es an der Haustür klingelte. Ich schreckte auf. Es kam so gut wie nie vor, dass jemand klingelte. Madar verließ das Haus sehr selten und Amu und Chaleh hatten eigene Schlüssel. Am ersten Abend, als Amu Haschem plötzlich im Wohnzimmer gestanden hatte, hielten wir ihn für einen Revolutionswächter, der Madar mitnehmen wollte. Wir hatten ihn ja noch nie gesehen. Damals waren wir so erschrocken, dass wir uns danach einen Plan ausgedacht hatten. Wir würden Madar warnen, falls es wirklich einmal so weit kommen sollte.
» Batscheha , kommt!«, rief ich. Wir ließen alles liegen und rannten so schnell wie wir konnten nach oben. Als wir die Stufen zur Haustür erreichten, trafen wir auf Chaleh Laleh, die gerade zum Tor gehen wollte. »Was ist los? Nicht so schnell, ihr fallt noch hin!« Ich schüttelte den Kopf und spurtete weiter. Im Schlafzimmer angekommen, zogen Masoud und Milad die dicken Vorhänge vor den Fenstern zum Hof zu. Ich verschob den großen Gummibaum so, dass er genau vor dem kleinen Spalt stand, den Masoud und Milad offen gelassen hatten. Und plötzlich wurde es völlig still.
Ich versteckte mich hinter dem Gummibaum, spähte zwischen den Blättern durch den Spalt und war bereit, Alarm zu schlagen, sobald die Männer in Grün durch das Tor kommen sollten. Masoud und Milad warteten gespannt und gaben nicht das geringste Geräusch von sich. Ich versuchte mein angestrengtes Schnaufen zu unterdrücken. Chaleh Laleh war schon fast am Tor. Auf den letzten Schritten griff sie nach ihrem Schlüsselbund, nahm den passenden Schlüssel in die rechte Hand und schob ihn ins Schloss. Mir stockte der Atem und ich war kurz davor loszubrüllen, da betrat jemand hinter uns das Zimmer. »Was treibt ihr da? Wieso habt ihr die Gardinen zugezogen?«
Es war Madar. Was für ein Glück! »Wir passen auf. Wir bewachen das Tor, falls Pasdaran kommen«, antwortete ich.
Milad, der neben mir auf dem Boden hockte, stand auf, senkte den Blick und murmelte leise: »Damit wir noch weglaufen können.«
Einige Sekunden vergingen, wir starrten sie an. Als ihre Augen anfingen, leicht zu zittern, wandte sie ihr Gesicht ab. Masoud ging zu ihr: »Madar, ist irgendetwas passiert?«
Mit erstickter Stimme antwortete sie: »Ich will nicht, dass ihr in einem Land aufwachst, in dem euer Leben von Angst bestimmt ist.«
Das verwirrte mich und ich wollte sie fragen, warum sie in letzter Zeit so geheimnisvoll war, aber ich kam nicht dazu. Chaleh Laleh und ein großer Mann mit schwarzem, lockigem Haar und einem Vollbart kamen in das Zimmer.
» Chahar jan , dein Besuch«, sagte sie und zog sich zurück.
Der Mann gab Madar die Hand. » Salam Chanum . Wie geht es Ihnen?«
»Gut, danke. Können wir beginnen?«
»Ja, ich habe alles dabei.«
Unsere Mutter verließ das Zimmer und wies uns an, dazubleiben. Der Mann trug einen dunklen Rucksack, aus dem er einen Fotoapparat herausholte. Er nahm die Blende ab, richtete die Kamera auf die weiße Wandfläche und drehte an einigen Reglern. Madar kam wieder und trug zu meiner Überraschung ein schwarzes Kopftuch, das sie seit unserer Ankunft hier nicht mehr aufgehabt hatte.
»Madar, was machen wir?« Sie antwortete nicht, sondern griff nach dem Kamm auf dem Schreibtisch und begann unsere Haare zu frisieren. Als ich dran war, flüsterte sie mir ins Ohr: »Ich
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