Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte
ähnlich wie in Hannover – von allen Kontinenten der Erde zu stammen. Ihre Bekleidung bot ein farbenfrohes Bild, genau wie die hellen, dunklen oder wettergegerbten Gesichter. Madar, Milad, Masoud und ich kamen aus dem langweiligsten Teil der Welt, so dachte ich zumindest, als wir den Hof überquerten und mein Blick von einer Person zur nächsten sprang. Es hätte eine internationale Versammlung von Delegierten sein können, doch diese Menschen verhielten sich nicht wie Delegierte: Ein paar Schritte von der Kontrollkabine entfernt warteten Zahllose an einer knallgelben Telefonzelle. Andere saßen in Grüppchen auf den Hofbänken und spielten Karten oder mümmelten Sonnenblumenkerne, deren Schalen sie rings um sich fallen ließen. Auch viele Kinder tobten auf dem asphaltierten Hof herum. Vor allem sammelten sie sich um zwei Tischtennisplatten aus Beton und schlugen mit der nackten Hand einen abgenutzten Tennisball hin und her.
Ohne das wilde Treiben der Menschen hätte der Hof sehr karg ausgesehen: Das Gebäude, in dem wir ein Zimmer bekommen hatten, machte mit seiner matten Fassade einen verkommenen Eindruck. Ihm gegenüber, auf der anderen Seite des Geländes, stand ein Haus aus Backstein. Dazwischen die Bänke, die Tischtennisplatten und die Telefonzelle. Nur ein einziger Baum im hinteren Teil des Hofes leuchtete in lebendigem Grün, was den Rest umso trister erscheinen ließ.
» Batscheha , kommt! Wir folgen den Menschen da«, sagte Madar und steuerte das ziegelrote Gebäude an.
Im ersten Stock fand sie das Büro der Heimverwaltung. Der Raum war brechend voll. Jemand erklärte ihr, dass sich alle Neuankömmlinge dort anmelden müssten. Also quetschte sich auch Madar hinein. Wir drei sollten vor der Tür warten. Mir war es nur recht, denn gleich beim Hereinkommen hatte ich Essen geschnuppert und das Verlangen danach ging mir nicht mehr aus dem Sinn. Die Quelle konnte nicht weit weg sein. »Komme gleich wieder«, sagte ich und lief los, ehe Masoud oder Milad widersprechen konnten.
Ich befand mich erneut in einem endlosen Flur mit zahlreichen Türen. Diesmal trat mir allerdings eine Menschenschar entgegen. Völlig auf meinen Geruchssinn konzentriert, schlängelte ich mich durch sie hindurch und mit jedem Schritt wurde der Duft intensiver. Obwohl ich ihn keinem Gericht zuordnen konnte, war ich mir sicher, dass er vom köstlichsten Essen der Welt aufstieg. Aus einer offenen Tür, einige Meter vor dem Ende des Ganges, dröhnte ein chaotisches Rasseln und Klirren. Das musste mein Ziel sein! Ich stellte mir eine große Bande Kinder vor, die an einem opulent gedeckten Tisch um die Wette mampfte. In der frohen Erwartung, für mich sei sicher noch ein Platz frei, trat ich über die Türschwelle – und versteinerte.
Vor mir lag ein dunstiger Raum, dessen vergilbte Decke und vertäfelten Wände so glanzlos waren, als hätte sich dort jahrelang der Dampf aus der Küche abgesetzt. Die Tische und Stühle, auf denen dicht gedrängt Menschen saßen, wirkten klapprig und verschlissen. Dann sah ich das Fenster, durch das ein korpulenter Mann mit seiner Kelle den Hungrigen Essen auf die Teller klatschte, und fühlte mich wieder an eine Kaserne erinnert. Aber ich hatte keine Wahl: Der Hunger trieb mich in die Schlange.
Als ich endlich an der Reihe war und dem Dicken erwartungsvoll meinen Teller entgegenstreckte, runzelte er die Stirn, schüttelte abweisend den Kopf und zeigte, während er etwas Unverständliches polterte, auf den Ausgang. Es dauerte einige Sekunden, bis ich es hinnahm, dass er mir kein Essen ausgeben würde. Mit hängendem Kopf machte ich mich auf den Weg zurück, doch kaum hatte ich den Teller abgelegt, baute sich ein dunkelhäutiger Mann vor mir auf. Er trug einen roten Stirnpunkt und erinnerte mich an indische Schauspieler. Ich erschrak fürchterlich, weil ich glaubte, wieder einen Fehler gemacht zu haben, und wollte schon weglaufen, da lächelte er und drückte mir eine Scheibe Brot in die Hand. Vor Verlegenheit brachte ich nicht mehr als ein Nicken hervor und verließ schnell die Kantine.
Im Flur stürmte ich los, um Masoud und Milad meinen wertvollen Fund zu präsentieren – ich kam mir vor wie eine Katze, die stolz auf ihre allererste Maus ist. Die beiden empfingen mich mit verwunderten Blicken und wir teilten das Brot brüderlich.
Eine Stunde später befanden wir uns wieder in der Kantine. Madar hatte von der Heimverwaltung Identifikationskarten erhalten. Sie waren der Schlüssel zum Kochkessel,
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