Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte
verunsicherten mich. Ich schmiegte mich enger an Mamani und umklammerte mit beiden Händen ihren Tschador. Ihr Körper zitterte und das versetzte mich in Angst. Die Miene des Mannes verdüsterte sich wieder, er richtete sich auf und holte aus der Innentasche seines Jacketts ein Foto hervor. Er zeigte es eurer Großmutter. Auf dem Bild erkannte ich Mostafa. Doch Mamani schüttelte wortlos den Kopf. Nachdem die Männer ihr einige Fragen gestellt hatten, verschwanden sie wieder. Mamani schloss die Tür so vorsichtig, als wäre sie aus Glas. Mit ihren zitternden Händen ergriff sie mein Gesicht und verbot mir lediglich, irgendjemandem etwas davon zu erzählen. Damals begriff ich nicht, wer die Männer waren und was sie wollten. Erst später fand ich heraus, dass es Savaki waren, Geheimdienstmänner des Schahs.
Trotz des Verbots, den Herrscher des Irans zu kritisieren, gab es Menschen, die sich nicht mundtot machen ließen und offen aussprachen, was sie bedrückte. Zahra Chanum war einer von ihnen. Sie traute sich am meisten, über den Schah zu schimpfen. Wenn sie uns besuchte, erzählte sie mir von ihrem Mann, der seit Jahren im Gefängnis saß, und von ihren Problemen, allein ihre Kinder großzuziehen. Außerdem sprach sie von den politischen Gefangenen in Teherans Evin-Gefängnis und von den Methoden des Schahs, die Menschen zum Schweigen zu bringen. Mamani gefiel das alles nicht. Sie wollte nicht, dass ich solche Dinge zu hören bekam. Aber gegen Zahra Chanum kam sie einfach nicht an.
Trotz des Altersunterschieds mochte ich Zahra Chanum sehr und betrachtete sie als Freundin. Sie tat mir in ihrer Situation leid und ich wünschte, ihr helfen zu können. Zahra Chanum war außerdem die einzige Erwachsene, mit der ich offen über meinen Missmut reden konnte. Im Gegensatz zu eurer Großmutter gab sie mir die Hoffnung, dass nicht alles so bleiben musste und dass die Menschen die Verhältnisse ändern konnten, wenn sie gemeinsam vorgingen. Und, Batscheha , damit hatte sie recht.
Einige Jahre vergingen, mit sechzehn kam ich aufs Gymnasium und das war die Zeit, als sich der Wind drehte – gegen den Schah. Die Menschen hatten ihn schließlich satt und strömten auf die Straßen. Auch ich besuchte mit Zahra Chanum und eurer Tante, Chaleh Maryam, die erste Demonstration in meinem Leben. Es war ein erfrischendes Gefühl, zu sehen, dass ich mit meinen Sorgen und Ängsten nicht allein war und dass es mehr Menschen gab, die Veränderungen herbeisehnten. Unter ihnen gab es viele, die in meinem Alter und sogar noch jünger waren. Gemeinsam riefen wir › Marg bar Schah! ‹ – Nieder mit dem Schah! – und genossen die kleine Freiheit, die wir mit diesen Worten errungen hatten. Wir verlangten die Freilassung der politischen Gefangenen, Meinungsfreiheit und Selbstbestimmung. Es sollte allen und nicht nur den Reichen im Land gut gehen!
Aber der Schah wollte das nicht akzeptieren, dass seine Untertanen ihm nicht mehr gehorchten. Er schickte Soldaten, die mit Schüssen antworteten, und ließ viele Demonstranten verhaften. Mamani hatte große Angst um uns und versuchte zu verhindern, dass wir an den Demonstrationen teilnahmen.«
»Madar, hattest du selber keine Angst?«, fragte Milad verwundert und schaute sie naiv an.
»Also ich hätte keine Angst gehabt«, entgegnete Mojtaba und stemmte seinen linken Arm in die Hüfte.
»Um die Wahrheit zu sagen, fürchtete ich mich sehr. Immer wenn die Soldaten heranrückten oder wenn ich einen Knall hörte, wurde ich schwach auf den Beinen. Als wir das erste Mal mit Tränengas beschossen wurden, dachte ich sogar, ich müsste sterben. Nichts konnte ich mehr sehen, so sehr tränten meine Augen, ich bekam keine Luft und glaubte zu ersticken. Doch eines Tages änderte sich das alles: Ich war mit eurer Chaleh Maryam in der Schule, und wir hielten uns während der Pause auf dem Schulhof auf, der von hohen Ziegelmauern umgeben war. Die heiße Mittagssonne knallte auf den geteerten Boden. Gerade unterhielt ich mich mit ihr, als auf einmal von draußen viele Stimmen ertönten. Es waren Schüler vom Jungengymnasium nebenan, die verlangten, dass die Tore aufgemacht wurden. Mit Gebrüll forderten sie uns auf, gemeinsam mit ihnen demonstrieren zu gehen. Einige Mitschülerinnen wollten sich ihnen anschließen, doch der Aufseher hinderte sie daran – auf Anweisung des Schuldirektors. Während eine Gruppe vor dem verschlossenen Tor stand und diskutierte, unterstützten wir die Jungen, indem wir von dieser
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