Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte
schlecht, wenn wir wieder zurück müssen. Ich hasse es hier«, murrte Mojtaba vor sich hin.
»Weißt du eigentlich, was du da sagst?«, platzte es aus Madar heraus. Sie schaute ihn kopfschüttelnd an.
Obwohl ich normalerweise einen Streit zwischen uns und Madar nicht aushielt, gab ich diesmal Mojtaba recht. Das alles hier war unerträglich. »Ich will auch unser altes Leben zurück. Was bringt es uns überhaupt, hier zu sein? Wir tun nichts anderes als zu warten. Wir verstehen niemanden, dürfen nicht einfach raus, müssen mit fremden Männern duschen und die Toiletten sind eklig. Wenn wir im Iran geblieben wären, wäre das ganz bestimmt besser.« Auch Milad nickte.
Plötzlich stand Madar von der Tischtennisplatte auf. Sie atmete tief ein und blies die Luft kraftvoll wieder heraus. Ihr getroffener Blick erschreckte mich. »Denkt ihr, ich trenne euch freiwillig von euren Freunden, eurer Familie und eurem Zuhause, ja von eurem ganzen vorherigen Leben? Ich habe schlaflose Nächte, weil all diese Dinge mir ständig durch den Kopf gehen und ich mir Sorgen um euch mache. Und ich verspreche euch, wenn es die Möglichkeit gäbe, wieder in den Iran zurückzukehren, würde ich sie auf der Stelle ergreifen. Doch die gibt es nicht, denn unser Leben ist dort in Gefahr.« Sie schnaufte immer noch und schaute mir nun direkt in die Augen. Am liebsten wäre ich unsichtbar geworden.
Doch Mojtaba ließ nicht locker. »Madar, du musst uns endlich erzählen, was du getan hast, dass die Regierungsmänner so sauer auf dich sind. Ansonsten glaube ich dir nicht mehr, dass wir wirklich fliehen mussten.«
Madar seufzte, ging ein paar Schritte auf und ab und setzte sich wieder zu uns. »In Ordnung.« Kurz nachdem sie das gesagt hatte, beruhigte sich ihre Stimme. »Ihr müsst erfahren, was geschehen ist. Ich will euch meine Geschichte erzählen. Dann versteht ihr, wie es so weit kommen konnte.«
»Bereits in meiner Kindheit störten mich die Verhältnisse im Iran. Als ich etwa so alt war wie ihr jetzt, besuchte ich mit eurer Tante, Chaleh Maryam, eine Privatschule im Norden Teherans. Einige meiner Mitschüler hatten sehr reiche Eltern und wurden sogar von einem eigenen Chauffeur zur Schule gebracht. In den Pausen erzählten sie von ihren Urlauben in Europa und Amerika und wie toll es sei, mit einem Flugzeug zu fliegen. Ich fand das ungerecht. Denn auch damals gab es sehr viele arme Menschen im Iran. Wenn ich mit Mamani in den Osten Teherans zu Zahra Chanum fuhr – ihr erinnert euch bestimmt noch an Mostafas Mutter, die auch Mamanis Cousine ist –, dann sah ich schon aus der Ferne eines der Elendsviertel Teherans namens Halabi-Abad. Die »Blechstadt«. Wie Unkraut schossen dort die improvisierten Behausungen aus der Erde empor. Die Menschen dort hatten gar nichts: keinen Strom, kein Wasser, keine Toiletten und auch keine Fenster. Kinder in eurem Alter oder noch jünger spielten in zerlumpten Kleidern zwischen dem Unrat. Sie gingen nicht zur Schule, weil ihre Eltern sich das nicht leisten konnten. Ich sah also auf der einen Seite diese armen Menschen, auf der anderen Seite meine Schulkameraden, die überhaupt keine Sorgen im Leben hatten, und fragte mich, wieso es so große Unterschiede unter ihnen geben musste.
Damals regierte der Schah im Iran und ich erwartete, dass er den Armen half, aber das Gegenteil geschah. Die Männer von der Regierung kamen mit großen Bulldozern, zerstörten ihre Hütten und vertrieben sie. Ab dem Zeitpunkt verstand ich, dass den Schah die Lebensverhältnisse seiner Untertanen gar nicht interessierten. Ihm war es wichtiger, in Palästen zu leben und für die ganz Reichen große Feste zu veranstalten.
Doch den Armen war es nicht erlaubt, ihn und seine Herrschaft zu kritisieren. Seine Grausamkeit lehrte jedem das Fürchten. Auch ich sollte sehr früh spüren, was dies zu bedeuten hatte.
Eines Tages, während ich über meinem Hausaufgabenheft saß, klingelte es an unserer Haustür. Ich sprang hoch und verließ mein Zimmer. Auf dem Hof erblickte ich Mamani, die ihren Tschador aufgesetzt hatte und in Richtung Tür ging. Neugierig, wer uns besuchen wollte, stellte ich mich hinter ihren Rücken und lugte von der Seite. Mamani öffnete: Vor unserem Haus standen zwei Männer in schwarzen Anzügen, weißen Hemden und Krawatten. Sie trugen Sonnenbrillen, in denen ich Mamani und mich ganz klein erkennen konnte. Einer von ihnen bückte sich nach vorne und grinste mich an. Seine schwarzen Zähne, die hervortraten,
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