Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte
dem Sturz des Schahs erhielt außerdem ein Gesicht, das bald die ganze Welt kennen würde: Ruhollah Mussavi Chomeini. Wenn sich die Stadt zu späterer Stunde mit Menschenmassen füllte, erklang, wie aus einem Munde, der Ruf nach ihm: › Marg bar Schah! Allahu Akbar , Chomeini Rahbar! ‹ – Nieder mit dem Schah! Gott ist groß, Chomeini unser Anführer!
Chomeini wirkte damals aus seinem Exil in Frankreich und verbreitete aus der Ferne Durchhalteparolen, indem er ein Aufblühen des Landes durch die Revolution versprach – und die Menschen glaubten ihm. Jeden Morgen entdeckte man auf den Straßen verwaiste Schuhe, die am Abend zuvor auf der Flucht vor den Soldaten verloren gegangen waren. Sie waren stumme Zeugen der Brutalität dieses Regimes.
Doch der lange Kampf um die Freiheit, mit all den Verletzten und Toten, blieb nicht wirkungslos. Die wichtigsten Verbündeten des Schahs kehrten ihm nach und nach den Rücken: Zuerst ließ ihn der Westen fallen, allen voran die USA . Dann erklärte das Militär seine Neutralität. Viele Soldaten waren verbittert und wollten nicht länger das Blut ihrer Mitmenschen vergießen. Sie zogen sich in ihre Kasernen zurück. In den Läufen ihrer Waffen erblühten nun rote Rosen, die die Menschen als Willkommensgeste hineingesteckt hatten. Nach all den Jahren des Leids und Kummers gab der vereinsamte Monarch endlich das Schicksal Irans frei und ging ins Exil!
Eine nie zuvor dagewesene Freude breitete sich im ganzen Iran aus. Die Leute verließen ihre Häuser und feierten. In diesem Moment kehrte Chomeini aus Frankreich zurück und Teheran füllte sich mit Menschen, die aus allen Ecken des Landes herbeiströmten. Sie begleiteten Chomeini vom Flughafen zum Beheschte Zahra, dem größten Friedhof Teherans, wo die meisten Opfer des Schahs begraben lagen. Dort hielt er seine berühmte Rede.«
»Ich weiß, wo das ist. Wir waren schon mal dort«, stellte Mojtaba stolz fest. »Stimmt’s, Madar?«
» Asisam , du hast recht. Wir waren jedes Jahr dort, um Mostafas Tod zu betrauern.«
»Wieso ist er gestorben? War er schon so alt?«, fragte Milad, während er sie mit nach oben gewandtem Kopf von ihrem Schoß aus anschaute.
»Ich werde euch erzählen, was mit ihm passiert ist. Habt ein wenig Geduld. Wo war ich stehengeblieben? Genau, bei Chomeini und seiner Rede …
Chomeini gedachte zunächst der Opfer der Revolution und schwor, dass deren Blut nicht umsonst geflossen sei. Er machte den Menschen Hoffnung, sagte ihnen eine rosige Zukunft voraus und versprach neue Freiheiten, Wahlen, Brot und Bildung für alle. Die Ära der Unterdrückung sollte ein Ende haben.«
»Und was ist dann passiert? Hat er sein Versprechen eingehalten?«, unterbrach sie Mojtaba.
»Lass Madar doch weitererzählen«, entgegnete ich ihm genervt. »Sie wird das schon sagen. Außerdem kann man sich das auch selbst denken. Erinnerst du dich etwa nicht an den letzten Tag unseres Schwimmkurses?«, und gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf.
Ich entsann mich noch genau: Wir drei hatten in den Sommerferien einen Schwimmkurs im Azadi-Stadion besucht. Am letzten Tag sollten wir den Zuschauern in einem Wettkampf demonstrieren, was wir gelernt hatten. Wir freuten uns sehr darauf. Vor allem wollten wir allen zeigen, dass wir uns zum Schluss sogar trauten, in das große dunkle Becken zu springen, von dem einige behaupteten, es sei über zwanzig Meter tief. Also fuhren wir mit Madar und Pedar zum Stadion, doch am Eingang wurde Madar von den Pasdaran , der Revolutionsgarde, angehalten. Es hieß, sie dürfe nicht die nackten Oberkörper der jungen Männer sehen, denn sie seien für sie nicht Mahram , nahe Verwandte. Am Ende waren wir drei so frustriert, dass wir fast alle Wettkämpfe verloren.
»Los, weiter!«, drängte Mojtaba. »Ich will hören, was passiert ist. Hat er nun sein Versprechen gehalten oder nicht?«
»Schon nach nur kurzer Zeit machte Chomeini alle Hoffnungen, die er geschürt hatte, wieder zunichte. Er begann, seine Macht zu festigen und dabei alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Zunächst säuberte er den Staatsapparat von ehemaligen Schah-Anhängern. Danach nahm er aber auch die Leute ins Visier, mit denen er zuvor gemeinsam gekämpft hatte. Chomeini verbot eine Partei nach der anderen und auch kritische Zeitungen durften nicht mehr erscheinen. Wenn wir etwa einen Infostand an der Straße aufbauten, um Missstände anzuprangern, kamen die Pasdaran auf ihren Motorrädern, nahmen unsere Sachen weg,
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