Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte
Dabei dachte ich an eine Geschichte, die unser Vater vor vielen Jahren erzählt hatte.
»Ja, das stimmt. Auch er war zu der Zeit politisch aktiv und ein Gegner des Molla -Regimes. Diese Gemeinsamkeit brachte uns näher und wir begannen, uns regelmäßig zu treffen. Das ging damals natürlich nicht zu zweit: ich, eine unverheiratete Frau, und er, ein alleinstehender junger Mann. So musste uns jedes Mal euer Onkel, Da-i Majid, begleiten. Kurze Zeit später heirateten wir, ich wurde schwanger und ihr Zwillinge kamt auf die Welt. Und dann folgtest du, Nure Tscheschmam – mein Augenlicht.« Sie lächelte Milad so liebevoll an, als hätte sie für einen Moment den ganzen Schmerz, von dem sie erzählte, vergessen.
»Aber was hat das alles mit unserer Flucht zu tun? Wieso mussten wir nun aus dem Iran fliehen?«, hakte Mojtaba nach.
»Ich werde gleich dazu kommen. Gedulde dich!
Nach Milads Geburt fing ich an einem Mädchengymnasium als Sozialarbeiterin an und war dafür zuständig, bei Konflikten einzuschreiten. Es ist wirklich ein Fluch, im Iran als Mädchen geboren zu werden. Die Schülerinnen sollten tausend Regeln befolgen und hatten oft Probleme mit der eigenen Familie, da viele Eltern sehr gläubig waren. In der Schule mussten sie zu jeder Jahreszeit einen Tschador samt Mantel und Kopftuch tragen – am besten alles in Schwarz. Am schlimmsten war es im Fastenmonat Ramadan. Zur unerträglichen Hitze unter ihren Schleiern kam noch hinzu, dass die Mädchen nichts essen oder trinken durften. Die Schule drehte sogar die Wasserhähne ab. Im Fastenmonat mussten alle Schülerinnen beten, doch wenn sie ihre Tage hatten, galten sie als schmutzig und sollten deshalb Gott nicht gegenübertreten. Also saßen sie in einer Zwickmühle, denn das Abmelden vom Gebet war gar nicht so leicht. Als Beweis mussten sie den Lehrerinnen sogar ihre Binden zeigen.
Neben diesen alltäglichen Problemen in der Schule gab es immer einen Riesenärger, wenn die Mädchen verbotenerweise einen Freund hatten und die Eltern davon erfuhren. Oft wurden sie zu Hause eingesperrt, damit sie den Kontakt zu ihren Freunden abbrachen. Als Bestrafung schlugen die Eltern ihre Kinder und manchmal wurden sie sogar aus dem Haus verbannt.
Meine eigenen Erfahrungen und die tagtägliche Auseinandersetzung mit den Problemen dieser Mädchen machten mir deutlich, dass ich etwas tun musste. Über Pedar lernte ich die Frauen zweier seiner politischen Mitstreiter kennen. Wir gründeten eine Gruppe, um für unsere Rechte zu kämpfen.
Es war schwieriger denn je, überhaupt politisch aktiv zu sein. Der Elan der Revolution war nach den Jahren der Unterdrückung und des Krieges dahin und das Regime selbst bis in die höchsten Ränge zerstritten. Nur noch die pure Gewalt sicherte die Herrschaft der Mollas . Ihre Paranoia kannte keine Grenzen. In jedem sahen sie eine potenzielle Gefahr, in jeder versammelten Gruppe eine Menschenmasse kurz vor dem Aufstand. Einmal wurde ich von den Pasdaran für kurze Zeit inhaftiert, weil ich keine Genehmigung für einen Ausflug mit meinen Schülerinnen eingeholt hatte. Man warf mir vor, eine unerlaubte Versammlung angestiftet zu haben, und drohte mir bei einer Wiederholung härtere Strafen an. Was als harmlose Klassenfahrt geplant war, wäre also fast hinter Gittern geendet. Die Strenge, mit der sie jede Kleinigkeit ahndeten, führte zu einer Überfüllung der Gefängnisse. Erst als internationale Beobachter beabsichtigten, die Haftanstalten zu inspizieren, sorgte man schließlich für Platz – durch die Ermordung vieler Inhaftierter. Es war eine der größten Massenhinrichtungen der iranischen Geschichte. Man wollte schließlich vor dem Ausland kein schlechtes Bild abgeben.
Nach all dem fragten sich viele Menschen, ob es unter der Herrschaft des Schahs nicht besser war. Ich bezweifelte es und wollte auf keinen Fall den Monarchen wieder auf seinem Pfauenthron haben. Wir mussten wieder für Veränderungen kämpfen, uns auch von diesen Tyrannen befreien – das war die einzige Lösung. Aber in einem Punkt hatten leider viele recht: Die Mollas gingen noch härter als der Schah gegen uns vor. Entmutigt flüchteten viele in ihre vier Wände. Das war eine verständliche Reaktion. Gelegentlich war mir auch danach, und ich wünschte mir, mich wie eine Schildkröte in meinen Panzer zurückziehen zu können, bis der Sturm vorbeigezogen war. Aber, Batscheha , in solchen Augenblicken dachte ich an den Tod einer jungen Frau namens Mahnaz, über die
Weitere Kostenlose Bücher