Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte
hieß, er habe seinen eigenen Sohn zum Tode verurteilt, weil er sich gegen das Regime gestellt habe. In dem Gerichtsverfahren verteidigte sich Mostafa selbst und verzichtete auf einen Anwalt. Ich habe gehört, dass der Prozess sehr bewegend gewesen sei und dass sich sogar der Richter von Mostafas Verteidigung beeindruckt gezeigt habe. Trotzdem wurde er zum Tode verurteilt und noch im selben Jahr erschossen.«
Madars Erzählung stoppte. Sie hatte die Handballen auf ihre Augen gelegt und weinte. Diesmal konnte ich meine Tränen nicht zurückhalten. Sie kullerten über meine Wangen, während ich stumm dasaß. Unser Schweigen, nur unterbrochen vom leichten Rascheln der Baumblätter, dauerte noch eine Weile an. Dann fuhr Madar fort: »Ich habe Mostafa sehr gemocht …« Sie wischte sich die Tränen aus den Augen. »Seit meiner Zeit bei den Mudschaheddin waren wir uns oft begegnet und er hatte immer so ein schönes Lächeln. Und ein gutes Herz. Ich werde ihn nie vergessen …
Nach seiner Festnahme mussten eure Chaleh Maryam und ich untertauchen. Wir befürchteten nämlich, dass Chomeinis Männer ihn dazu bringen würden, Namen zu verraten. Mostafa war sehr willensstark, doch es war niemandem übel zu nehmen, wenn er den Druck nicht aushielt. Wir kamen in einem kleinen Dorf nahe Teheran bei Bekannten unter. Zuvor informierten wir Babai von der Festnahme Mostafas und er vernichtete alle unsere politischen Bücher und Materialien, die wir zu Hause hatten. Und tatsächlich: Es verging keine Woche, bis die Pasdaran das Haus eurer Großeltern durchsuchten – glücklicherweise erfolglos. Aus Angst, dass sie uns dennoch verhaften würden, blieben wir fast ein Jahr lang versteckt. Babai kümmerte sich währenddessen um eine neue Wohnung und sie zogen nach Ekbatan, wo sie immer noch leben. Erst dann trauten wir uns nach Hause zurück; anfangs nur freitags, dem wöchentlichen Ruhetag, aber mit der Zeit kehrten wir ganz heim.
Inzwischen steckte der Iran in einem scheinbar endlosen Krieg, Chomeini hatte alle Oppositionellen in den Untergrund getrieben und die Macht an sich gerissen. Daraufhin hatten die Volksmudschaheddin den bewaffneten Kampf gegen das Regime erklärt. Ich hatte die Gewalt satt und wollte nicht selbst für noch mehr Leid sorgen. Kein Blut sollte an meinen Händen kleben. Deswegen verließ ich die Mudschaheddin.
Während meiner Zeit im Versteck hatte ich sehr oft an Mostafas Mutter, Zahra Chanum , gedacht. Zum Jahrestag seiner Ermordung besuchte ich sie schließlich. Zahra Chanum hatte bei sich zu Hause eine Trauerfeier organisiert. Viele waren gekommen. Der Großteil bestand aus Angehörigen von Gefangenen und Hingerichteten. Auf einem Kassettenrekorder liefen Klagelieder für die politischen Opfer. Sie waren traurig, aber noch mehr Trauer barg Zahra Chanums Gesicht: Die einst so strahlenden Augen hatten sich in ihre Höhlen zurückgezogen – die Haut darum schien wie verwelkt, als wäre sie wegen der vielen Tränen von innen ausgetrocknet. Keine einzige zaghafte Regung der hängenden Lippen ließ ihr früheres, herzhaftes Lächeln erahnen. Die Trauerfeier schnürte mir die Brust zu. Sie einte diejenigen, die einen geliebten Menschen unwiederbringlich verloren hatten.
Es ist unglaublich, aber diese Hunde hatten nicht einmal vor diesem Tag Respekt. Kläffend erstürmten sie das Haus, durchsuchten jeden Winkel und fotografierten sämtliche Anwesenden. Es reichte ihnen nicht, dass sie Menschen ermordet hatten, derentwillen die Angehörigen sich nun versammelten. Schamlos suchten sie nach weiteren Regimegegnern und ihr Wahn kannte keine Grenzen.
Als ich abends wieder zu Hause war, entschied ich mich, die Hinterbliebenen nicht allein zu lassen. Ich begann, Mostafas Mutter jeden Tag zu besuchen und ihr auch bei alltäglichen Dingen, etwa beim Einkauf oder bei Arztbesuchen, zu helfen. Die Betroffenen, denen ich begegnete, fühlten sich machtlos dem Regime ausgeliefert. Sie waren verzweifelt, da sie oft nicht mal wussten, was mit den Verhafteten passierte. Ich half ihnen dabei, den Verbleib ihrer Angehörigen herauszufinden und den Kontakt zu ihnen herzustellen. Im Gefängnis kontrollierten die Aufseher jede Nachricht, und es war sehr schwierig, den Insassen frei zu schreiben. Deshalb versteckten wir die Briefe in Kuchen oder religiösen Büchern, etwa im Koran. Manchmal nähten wir Nachrichten auch in die Kleidungsstücke hinein.«
»Hast du nicht auch Pedar auf so einer Trauerfeier kennengelernt?«, fragte ich.
Weitere Kostenlose Bücher